Kaum klingelt das Telefon und wage ich, den Anruf entgegen zu nehmen, passiert es. Meine Kinder, die ich eben noch als friedlich spielend irgendwo in ihren Zimmern wähnte, legen wie auf Kommando all ihre Aktivitäten nieder und kommen daher gerannt. Ihr Bewegungsradius ist ab sofort unmittelbar eingeschränkt auf rund zwei Meter Umkreis von mir und dem Telefon.
Oder, wenn’s geht, dann bitte am liebsten grad in mir drin.
Sie klammern sich an meinen Beinen fest, wenn ich stehend telefoniere, rütteln daran. Sitze ich, schlingen sie mir ihre Arme so um den Hals, dass mir die Luft fehlt, um zu sprechen. Sie wälzen sich auf und neben mir, während ich versuche, das Gespräch in Gang zu halten. Sie schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Beginnen auf Tischen zu hüpfen, Süssigkeiten zu klauen, nackt auf die Strasse zu rennen. Oder sie rufen gefühlt im Sekundentakt «Mama!!!»
«Wart rasch!»
Wem genau dieser Satz gilt? Wohl beiden. Dem Kind so wie der Person am anderen Ende der Telefonleitung.
Telefonieren mit Kindern? Schwierig.
Telefonieren ohne Kinder? Ursprünglich nicht meine Lieblingsdisziplin. Ich habe Anrufe aller Art so gut es ging vermieden. Bis ein Praktikum in einer Werbeagentur dazu geführt hat, dass ich meine Angst davor dank steiler Konfrontation in der Akquisition gänzlich verloren habe. Die Blick-Redaktion tat ihr übriges. Inzwischen telefoniere ich sogar auf Französisch – so gut es eben geht.
Ich bin in Form. Telefon-konform.
Meine Kinder? Auch in Form, aber weniger konform. Eigentlich gar nicht.
Und ich frage mich immer: Bin ich eigentlich die einzige, die in dieser Welt gerade nicht telefonieren kann?
Denn es gibt tatsächlich Menschen, die wollen mit mir Telefontermine vereinbaren. Oder versuchen, mich anzurufen. Abgesehen davon, dass das Klingeln im allgemeinen Lautpegel untergeht, gibt es über den Tag verteilt vielleicht so drei, vier Momente, die geeignet sind, einen Anruf entgegen zu nehmen. Und weil diese Momente mehrheitlich mit meiner extrem verdienten Mittagspause oder einer Klobreak zusammenhängen, sind es noch weniger.
Die Chancen, mich telefonisch zu erreichen, gehen gegen Null.
Und erwischt dann einer tatsächlich DEN einen Moment, an dem alles stimmt, an dem ich mich in der Lage fühle in Anbetracht der Situation den Anruf entgegen zu nehmen, geschieht, was eingangs dieses Blogartikels beschrieben.
Telefonieren mit Kindern? Wirklich schwierig.
Dauer des Anrufs? Selten länger als fünf Minuten.
Es kommt auch vor, dass ich aus eigenem Antrieb die roten Nummern auf meinem Telefon abtelefoniere. Weil ich entgegen besseren Wissens das Gefühl habe, einen günstigen Moment zu erwischen. Oder weil ich einfach muss. Arzttermine, Ämter. Oder als eben erst das Internet bei uns zuhause ausgestiegen ist.
Was dazu führte, dass ich schlussendlich gleichzeitig mit dem Berater meines Telefonanbieters das Internet reinstalliert, K2 aus dem verbotenen Mittagsschlaf geweckt (was erklärt, warum der Moment günstig war) und das brüllende K3 aus seinem Bettchen befreit habe. Einfach so.
Der Mensch am Ende der Leitung tat so, als sei alles normal.
Ich auch.
Sprach zwischen Gebrüll von K2 und den Versuchen von K3, das Telefon zu kriegen, weiter, als wäre nichts.
Mit den Kindern bin ich unkommunizierbar geworden. Erreichbar per Email oder SMS auf dem Klo. Ansonsten? Schwierig.
Selbst wenn man von Telefon auf persönliches Treffen umstellt, geht das tourettartige Kommunizieren weiter.
«Oh, ich will dir noch unbedingt von diesem kinderfreundlichen Kaffee erzählen, wo wir letzten Mittw… HALT, sofort zurück! Sofort! …also, das Kaffi. Wir waren da mit… KIND, pass auf, nein, lass das jetzt, das Auto gehört deiner Schwester.»
[Schwester brüllt]«Nicht weinen, er hört ja schon auf.»
[hört eben nicht auf] [steht auf, schlichtet, lange Pause]«Also, wo waren wir? Ich hab’s vergessen…»
«Weiss ich auch grad nicht mehr, aber du musst mir unbedingt noch erzählen: Wie war es in den Ferien? …was, du musst aufs WC?»
[rennt, lange Pause]«Tuut, tuut, tuuuuut. Ich bin die Polizei, tuuut…»
[Auto hupt, Baby gluckst]«Nimmst du auch noch was zu trinken? Ich muss immer darauf achten, genug zu trinken, läuft immer so viel mit den Kindern.»
«Äbe, die Ferien… ACHTUNG, das Baby, du darfst es nicht so grob anfassen… fiin, schau, so, fiiin»
[Baby gluckst]…
Mit jedem Mamajahr steigt die Kompetenz, solche Gespräche über mehrere Stunden zu führen, ohne den Faden zu verlieren.
Und ich staune, wie viel Inhalte meine ebenfalls in dieser Art der Kommunikation geübten Freundinnen und ich jeweils in wenige Worte über mehrere Unterbrüche hinweg verpacken können. Man lernt. Wichtige Inhalte kurz und knapp wieder zu geben. Belangloses wegzulassen. Hintergrundlärm und visuelle Reize auszublenden.
Wohl keine Frau, die nach der Kleindkindphase nicht klar und deutlich kommunizieren kann. Ein wahnsinns Plus im Lebenslauf. Echt jetzt.
Ich habe inzwischen umgesattelt.
Denn während ich telefoniertkonfrontiert geheilt bin, gibt es da eine Sache, die die Telefonphobie in den Schatten stellt. Eine, die total atypisch für eine Phobie, glaub die Mehrheit der Bevölkerung betrifft.
Die Angst, auf einen Telefonbeantworter zu sprechen.
Verständlich. Nirgendwo sonst habe ich so viel Blödes so umständlich und so gründlich und so hilflos kommuniziert, wie auf den Bändern der Telefonbeantworter.
Doch nun erweist sich das Telefonbeantworterbesprechen der Neuzeit – auch Sprachnachrichten genannt – als Rettung aus dem unfreiwilligen Kommunikationsloch.
Wir sprechen in unsere Smartphones, als ob es kein Morgen gäbe. Reden uns Kinderfrust und Alltagslust vom Herzen und der Seele und entfliehen dem Geschrei, indem wir Kopfhörer in die Ohren stöpseln und während des Kochens, Wäscheaufhängens oder auf dem Klo sitzend Nachrichten aus einer anderen Welt abhören.
Sprachnachrichten sind das Telefonieren mit Kindern einfach gemacht. Und hat man sich erstmal getraut, zu sprechen statt zu tippen, gibt es kein Halten mehr. Ausser – ja, leider kommt das auch beim Sprachnachrichtensprechen vor – die «Magie des Telefonierens» setzt ein.
Wer ein Mittel dagegen hat: Melde sich.
Bild: Rawpixel Unsplash
Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.