«Mami, werum chunsch ersch jetzt?»
Fragt mich K1 leicht enttäuscht, als ich leicht abgestresst aber pünktlich nach der Zehnuhr-Pause bei ihm im Klassenzimmer stehe. «Tut mir leid», antworte ich. Was ich auch so meine. Aber füge an, dass er froh sein soll, dass ich überhaupt komme – damit war die Enttäuschung gegessen. K1 weiss genau, was ich meine.
So ein Elternmorgen ist kein Spaziergang für mich. Eher ein Spiessrutenlauf.
Der damit beginnt, dass ich K5 in der Kinderhüte abgebe, die sich zwar in der Nähe des Schulhauses befindet, aber erst um 8:30 Uhr öffnet. Die Zeit ist knapp. K4 habe ich ebenfalls noch im Schlepptau und deponieren ihn unterwegs noch im Kindergarten. Die erste Schulstunde hätte um 8.10 Uhr begonnen, ich bin also sowas von zu spät. Zero Zeit um K5 in der Hüte abzugeben, den Spurt zum Schulhaus hinzulegen und dann – total tiefenentspannt – bei den beiden älteren Kinder ins Schulzimmer zu sitzen.
Ausgerechnet an diesem Morgen, wo ich eben gerade keine Zeit hatte, noch lange zu «bibäbelen», stellt K5 sich quer.
Was tun? Ich drücke der Betreuerin das schreiende K5 in die Arme, rufe ihr beim Rausgehen noch zu: «Sie beruhigt sich dänn scho wieder!» – und renne los.
Manchmal sind Leute von meiner – ich nenne es – unkomplizierten Art schockiert. Aber die wissen ja nicht wie es ist, wenn man irgendwie alles gleichzeitig machen sollte. Da hat man einfach keine Zeit um auf alle und alles einzugehen.
Unterwegs beschliesse ich, die erste Schulstunde statt bei K1 bei K2 reinzusitzen. Denn später hätte sie Sport und dass sie da gut mithalten kann, wusste ich. Deshalb dachte ich, es wäre sinnvoll, K2 beim Rechnen zuzuschauen. Was ich allerdings bereue, sobald ich beobachte, wie sich K2 lieber mit ihrer Knete, die sie irgendwie in ihrem Etui aufbewahrt, spielt. Während ALLE anderen Kindern ständig aufstrecken und auf jede Frage der Lehrperson die passende Antwort wissen, scheint der Unterricht völlig an meiner Tochter vorbei zu gehen.
Nichts neues. Eigentlich. Die Lehrpersonen haben mir das bereits öfter mitgeteilt. Allerdings habe ich das bestens verdrängen können. Bis heute.
Jetzt sehe ich also, wie unwichtig K2 die Mathematik ist.
Ein Mutter-Tochter-Gespräch steht an, das war klar. Aber nach dieser Stunde brauche ich erstmal Kaffee.
In den paar Minuten Schulpause treffen sich Mütter und Väter aller Primarschüler und Schülerinnen zum Kaffee auf dem Pausenplatz. Ich weiss gar nicht, was ich als schlimmer empfinde. Die Realität, wie sich meine Tochter während einer Mathe-Stunde beschäftigt, oder das Treffen in der Pause von all den Eltern, die ich zwar seit Jahren immer wieder sehe und ihnen doch nicht den Namen sagen kann, weil er mir zwar auf der Zunge liegt, dort aber liegen bleibt und ich dann ein unsicheres «Hallo, wie gahts?» von mir gebe, um wenigstens ein bisschen freundlich zu wirken. Aber was ich dann reden soll, weiss ich auch nicht. Irgendwie habe ich das Smalltalken verlernt, oder gar nie gelernt; keine Ahnung.
Gottenfroh bin ich, als die nächste Stunde losgeht. Mensch und Umwelt steht an. Wie erwähnt, erwartet mich K1 schon sehnsüchtig, denn ich bin ja eben eine Stunde zu spät weil ich die abgemachten Pläne spontan umgestellt habe – «Mutterrecht» nenn’ ich das.
Mensch und Umwelt – eine sehr interessante Stunde, in der ich einiges lerne. Nicht unbedingt von dem, was der Lehrer vorne unterrichtet, sondern eher, wie die Jungs unbemerkt während der Lektion Nüsse essen oder wie man aus einem Kugelschreiber ein Geschoss basteln kann, das kleine Papierkügelchen quer durch das ganze Zimmer katapultieren konnte. Dies zwar nicht mehr unbemerkt, aber immerhin so, dass es nicht sofort ersichtlich war, von welchem Pult das Geschoss abgefeuert worden war. So bin ich 45 Minuten bestens unterhalten und als die Stunde zu Ende war merke ich, dass der eigentliche Inhalt der Lektion völlig an mir vorbeigegangen ist. Und plötzlich kann ich K2 verstehen. Es ist wirklich schwierig, sich über mehrere Schulstunden zu konzentrieren. Da kann ich ihr nichts vorwerfen.
Ich bedankte mich beim Lehrer für die Inhaltlich gut vorbereitete und wertvolle Stunde und eilte ganz beschäftigt an all den Sonder-, Sozial- und Heilpädagogen – die sich auch im Klassenzimmer befanden, deren Namen ich mir aber aus Kapazitätsgründen nicht merken konnte – vorbei, damit ich dann pünktlich K5 wieder aus der Kinderhüeti holen konnte.
K5 scheint sich inzwischen in der Kinderhüeti richig wohl zu fühlen und will nicht wieder mit mir nach Hause kommen. Zwangsläufig reisse ich sie aus ihrem Spiel, stülpe dem schreienden Kind die Jacke über, bedanke mich bei den Betreuerinnen und rufe ihnen beim Verlassen des Raumes noch zu:
«Sie beruhigt sich dänn scho wieder!»
Die Schuhe hatte ich übrigens einfach in die Tasche gestopft, anziehen hätte viel zu lange gedauert, denn schliesslich musste ich jetzt nach Hause rennen, damit das Mittagessen pünkltich um 12.00 Uhr auf dem Tisch steht. Denn wenn nicht… aber das wäre ein anderes Thema.
Zu Hause mache ich mir dann Gedanken darüber, wie ich den anstehenden Besuchsmorgen von K3 eine Woche später optimieren könnte. Für den Besuchsnachmittag im Kindergarten bei K4 habe ich zum Glück die Gotte aufbieten können.
Und irgendwie werde ich auf einmal dankbar, dass es in der Kinderhüeti weder einen Besuchsmorgen, noch -nachmittag noch einen Elternabend gibt.
Bild: Fisher Twins | Unsplash
War im richtigen Leben einmal Primarlehrerin, bevor sie sich entschloss mit ihrem Mann ihre eigene Klasse zu gründen. Lea wohnt mit ihren fünf Kindern, ihrem Mann und vier Ratten in einem viel zu kleinen Reihenhaus in der Nähe von Zürich.