Ob ich meinen Körper mag?

Ich bin ein stolzes Kind der 80er. Das bedeutet, dass ich mittlerweile überall, wo ich meinen Jahrgang angeben muss, zuerst für einige Sekunden nach unten scrolle.

Es heisst aber auch, dass ich in den 90ern ein Teenie war. Ihr wisst schon. Kate Moss und so. Oder anders ausgedrückt: Alles, was nicht einen Bodymassindex von 17 aufweisen konnte, war gefühlt nicht dünn genug.

Kurven waren nur an einem Ort erwünscht. Stichwort Pamela Anderson. Meine «Kurven» befanden sich zwei Stockwerke weiter unten – am Po.

An dieser Stelle ein «Hurra!» auf die heutige Zeit, wo die wieder total willkommen sind.

Zurück zu den 90ern.
Ich war überfordert. Und ganz und gar nicht zufrieden mit meinem Körper. Obwohl ich in einer Runde von männlichen Klassengspändli mal mit einer «8» bewertet worden bin. Immerhin. Aber wenn ich in den Spiegel schaute, sah mich ein unsicheres Mädchen an, das ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden hatte.

Diese innere Unsicherheit übertrug sich auf meine äusserliche Wahrnehmung. Ich konnte mich nicht neutral im Spiegel anschauen. Immer sah ich, was nicht optimal war. In meinem Verständnis einiges.

Akne, vermeintliche Fettpölsterchen und die falsche Haarfarbe stachen mir wahlweise ins Auge. Diese Unsicherheit, kombiniert mit hohen Idealen, endete in einer Bulimie.

Darüber zu sprechen, war damals noch nicht gesellschaftlich anerkannt. Es gab wenige, die ihre Geschichte öffentlich machten. So dachte ich jahrelang, ich sei die Einzige, die kämpfte.

Es dauerte lange, bis ich mich einer Freundin anvertraute und damit einen ersten Schritt machte, der zu einem heilsamen Miteinander von mir und meinem Körper führte.

Ich bin dankbar, bin ich nun seit über zwanzig Jahren gesund. Diäten mit Kalorien-Zählen mache ich jedoch aus Selbstschutz bis heute nicht. Auch die Batterien der Waage sind schon lange leer.

Ich versuche achtsam zu sein, wie ich über mich selbst denke und bin unheimlich dankbar, dass Essen mittlerweile etwas ist, das ich in vollen Zügen geniessen kann.

Schaue ich heute Fotos von früher an, lange ich mir an den Kopf ab all den Gedanken, die ich mir damals gemacht habe. Ich würde meinem Teenager-Ich gerne sagen, dass es sich nicht lohnt, sich so den Kopf über Äusserlichkeiten zu zerbrechen. Dass diese Jahre zum Geniessen da sind. Dass ich mich entspannen darf. Dass andere nicht so viel über mich nachdenken wie ich meine. Dass ich schön bin. Und genüge. Und, dass es auch andere Musik gibt als die der Kelly Family.

Das Rad der Zeit zurückdrehen kann ich nicht. Muss ich auch nicht. Denn schliesslich ist das scheue, unsichere Mädchen von damals ihren Weg gegangen und ich bin ziemlich stolz auf das, was aus ihr geworden ist.

Unter anderem ist das Mädchen von damals mittlerweile Mama von drei Töchtern und einem Sohn. Die Ältesten marschieren mit rasanten Schritten auf das Teenager-Alter zu. Auf diese Zeit, in der ich selbst so gekämpft habe. Das löst einiges bei mir aus. Ich merke, wie die Grundsteine bei meinen Kids längst gelegt sind. Ich habe schon lange nicht mehr alles in der Hand.

Manchmal kommen mir Gedanken, ob das, was ich in sie investiert habe, genug sein wird, damit sie zurechtkommen in dieser von Insta-Filtern verzerrten Welt.

Ich möchte sie beschützen und bewahren, damit sie nicht denselben Weg gehen müssen wie ich damals. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass dies nicht ausschliesslich in meiner Hand liegt. Ich bin ein Teil von einem Ganzen, das ich nicht alleine steuern kann.

Meine Girls umarmen das Leben. Sind offen. Neugierig. In gewissen Bereichen haben sie ihren Platz gefunden und wissen, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Haben feste Meinungen und Ansichten, die mich unheimlich stolz machen. Da sind sie mir in diesem Alter meilenweit voraus. Sie stehen ihre Frau und setzen sich ein für das, was ihnen wichtig ist.

Gleichzeitig beginnt vieles sich schleichend zu verändern. Freundschaften. Ihr Körper. Ihre Interessen. Dank TikTok, Snapchat und Insta ist die ganze Welt bei uns zu Besuch und suggeriert, was sie anziehen müssen, welche Lotion am besten wirkt und welches Natel sie gerade haben sollten.

Meine Kinder stehen kritisch vor dem Spiegel. Vergleichen sich. Schauen ab. Grenzen sich ab. Suchen aber auch Nähe und Orientierung.

Solche Herausforderungen habe ich nie durchlebt. Ich bin eben so neu darin wie meine Kinder. Das fordert mich heraus. In vielem habe ich keine Anhaltspunkte, wie man das am besten macht. Muss mir einen Weg durch den ganzen Dschungel an Einfluss, der auf uns einprasselt, suchen. Und dabei hoffen, dass wir einen guten, gesunden Umgang damit finden als Familie. Trial and Error ist das Motto.

Ich und meine Meinungen sind nicht mehr immer ganz so populär wie früher. Und doch. Wenn es gelingt, dass dieser Hafen, den wir als Eltern bieten, ein Ort bleibt, an dem sie gerne verweilen und auftanken, bevor sie wieder lossegeln in unbekannte Gewässer, dann bin ich dankbar.

Schlussendlich muss ich anerkennen:
Ich kann meinen Kindern ihren Weg nicht ersparen. Werde sie nicht vor allem beschützen können. Es kommt die Zeit, in der sie sich immer mehr aufmachen, um zu entdecken, was die Welt für sie bereit hält. Dabei werden sie zweifeln. Ringen. Sich hinterfragen. Vielleicht umfallen. Hoffentlich aber auch Siege feiern. Tanzen. Das Glück finden.

Ich kann mich entscheiden da zu sein. Sie zu begleiten. Bei allem, was noch kommt. Sie immer wieder zu ermutigen. Sie zu feiern. Sie freisetzen. Und loslassen.

Dass es reicht, damit sie tief innen wissen dürfen, dass sie genug sind.

Dass sie schön, einzigartig, geliebt und gewollt sind. Und zwar so, wie sie sind und nicht anders. Jede mit ihren Ecken und Kanten. Mit ihren Gaben und Interessen. Und mit ihrem Aussehen.

Bei allem, was Angst macht, freue ich mich auf die Zeit, die kommt. Ich freue mich darauf zu sehen, wie sie lossegeln. Wie sie sich und die Welt immer mehr entdecken. Mehr und mehr zum Gegenüber werden.
Ich bin gespannt, was noch aus ihnen wird.
Und bin dankbar, darf ich Teil sein von dieser Reise.

Bild: Mae Mu

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