Ich bin ein Versager. Vieles mache ich richtig – und trotzdem alles falsch.
Begonnen hat es damit, dass ich ein Kind gekriegt habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich vorher so umfassend gescheitert wäre. Und das nonstop.
Das Versagen schlich sich langsam in mein Leben. Mit einem Kind, da lässt sich noch vieles kaschieren. Und organisieren. Und ignorieren.
Zuallererst scheiterte ich an meinem Motto «Ich lasse mich von meinem Kind nicht einschränken.» So ziemlich am ersten Tag nach der Geburt. Spätestens, als wir dann zuhause waren. Ich unter der Dusche stand und es losbrüllte.
Noch dachte ich mir nichts dabei.
Das Versagen ging in die nächste Runde, als ich mit Kind die Öffentlichkeit betrat. Ich war nervös, wenn jemand mir beim Kinderhaben zuschaute. «Was denkt die Person jetzt?», dachte ich Anfängermama schon nur, wenn ich meinem Kind den Nuggi in den Mund steckte. Und bei allem sonst, was ich tat oder eben nicht tat. Denn sowohl tun wie nichts tun, beides kann, je nach Betrachtungsweise, falsch sein.
Beruflich schraubte ich beinahe auf Null zurück. Ein weiteres Versagen. Irgendwie. Denn ich hatte mich damit zum Opfer der klassischen Rollenverteilung machen lassen. Wo war mein altes Ich geblieben? Dachten sich Leute, die mich besser kannten. Aber eben doch nicht gut genug.
Dasselbe in privater Natur. Zurückschrauben. Ich scheiterte an meinen Freundinnen, weil ich es nicht mehr auf die Reihe kriegte, Kind und Käffelen unter einen Hut zu bringen. Ihre Geburtstagsfeiern ausfallen liess. Kulturelle Gemeinschaftsevents nicht mehr besuchen konnte.
Das war schon etwas gravierender.
Ob denn das Kind nicht im Buggy schlafen könne? Ob nicht jemand anderes zum Kind schauen könne? Soll es doch weinen. Ist ja nur eine Stunde/Nachmittag/Abend. Ich hörte mir an, ich sei zu kompliziert. Und versuchte, es nicht mehr zu sein.
Doch meinen Versuchen, unkompliziert zu sein, kam mein Kind in die Quere. Oder zumindest mein Anspruch an mich selbst, ein ausgeglichenes Kind zu haben. Oder auch meine Unfähigkeit, entspannt ein unausgeglichenes Kind zu ertragen, das den verpassten Schlaf (nein, es schläft nicht im Buggy) tags darauf an mir auslässt.
Das zweite Kind kam und besiegelte mein Schicksal.
Denn es verunmöglichte nicht nur meine Versuche, einigermassen mit der kinderlosen oder vollzeitkitakinder-Welt mitzuhalten. Es verunmöglichte mir auch meinen Anspruch, wenigstens familienintern noch irgendwem zu genügen.
Während ich früher mit einem Kind im Sandkasten sass und es einen ganzen Vormittag frühförderte, mir dabei auch noch irgendwie neunmalklug vorkam und glaubte, das Leben im Griff zu haben, wich das softe Mamadasein einem militärischen Drill. Mit Verlusten auf allen Seiten.
Kind eins musste plötzlich einstecken. Mann sowieso. Und Kind zwei lief nebenbei, in einer Ecke verstaut, so lange, bis es weinte und/oder Hunger hatte. Mein ständiger Begleiter ist darum das schlechte Gewissen. Und die Erkenntnis, nonstop zu enttäuschen.
Wie ich damit lebe?
Mal gut, mal weniger gut.
Ich bin häufig frustriert. Weil ich nicht gerne enttäusche. Weil ich wünschte, mehr Zeit zu haben. Mehr Kapazität. Mehr Flexibilität.
Gleichzeitig bin ich wütend. Weil es nicht einfach ausreicht, was ich bin und tue. Dass meine Kinder sauber und wohlgenährt sind. Dass sie sich gut entwickeln und im Herzen gesund sind.
Ich sollte alles unter einen Hut kriegen können. Beruflich aufsteigen und meine teure Ausbildung jetzt sofort mit weiteren Berufserfolgen rechtfertigen. Ich sollte familiär lockerflockig easy sein, meine Kinder im Griff haben, die zur richtigen Zeit unbeschwert oder aber gesittet und angepasst sind. Ich sollte ihre Persönlichkeit fördern, ihre Stärken. Ihre Schwächen nicht gewichten, ihre Launen stoisch ertragen. Ich sollte schick aussehen, an jedem wichtigen Anlass teilnehmen und das nicht nur kurz, sondern wenn möglich von Anfang bis Schluss und zum bitteren Ende noch mithelfen, die Stühle wieder abzuräumen. Ich sollte ein offenes Ohr und geputztes Haus haben für jedermann. Mindestens einmal in der Woche einen Eheabend durchführen mit kulturell anspruchsvollem Programm. Ausserdem über Mittag lunchen gehen, nachmittags Kaffee trinken, abends Happy Hour in der Stadt, nachts in den Ausgang. Oh, ich vergass. Mindestens einmal Sport in der Woche.
So schwierig kann das nicht sein.
Denn: Es soll welche geben, die das können.
Ich kann es nicht. Deshalb: Ich bin ein Versager. Obwohl ich finde, dass ich eigentlich ganz viel richtig mache.
Um klarzustellen: Mir hat niemand gesagt, ich müsse das alles können und bringen und tun und bewerkstelligen. Aber bisher hat auch kaum jemand das Gegenteil behauptet.
Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.