Wütend als Mutter

«Wer hält mich, wenn ich wütend bin?» Fragte kürzlich jemand auf Instagram.

Antwort von hier: Heute grad keine*r. Und auch sonst sehr wenige, wenn überhaupt. Ich weine dann einfach. Weil mir die Gefühlslage zu viel wird. Manchmal schimpfe ich auch. Während des Weinens oder danach. Manchmal bin ich dabei sogar abwertend, wenn die Kinder mitverantwortlich für meine Gefühlslage sind. Obwohl ich selbst das blödeste Verhalten von ihnen nachvollziehen kann und glaube, meistens können sie nicht anders.

Dann spült es mir online Inhalte rein, die mir sagen, wie scheisse mein Verhalten ist für meine Kinder. Wie Erziehung richtig geht und dass sie gelingt, wenn man es gut genug macht.

Was heisst schon ‚gelingt‘?

Ich hatte bereits vor meinen Kindern gute Strategien für Stressbewältigung und Kommunikation. Ich habe sie mit meinen neurodiversen Kindern verfeinern müssen. Ich habe so viel mehr Verständnis für Entwicklung, für Anpassungsunfähigkeiten, für das mühselige, langwierige Erlernen von Anpassungsstrategien bei gleichzeitiger Neurodiversität, für Geduld und für andere Wege entwickelt. Das Wissen, dass «Wenn A, dann B» zumindest bei neurodiversen Familien kaum passiert. Die Akzeptanz dessen.

Wenn ich wütend werde, passiert das nicht ‚einfach so‘.

Wenn ich wütend werde, liegt da eine ganze, oft beschissene Woche hinter mir, eine Aneinanderreihung schlafloser Nächte. Die x-mal vergeblich angewendete Kommunikation auf Augenhöhe. In mir drin drehen Deadlines ihre Kreise. Die Dreckwäsche schlingt sich um meine Beine bei jedem Schritt. Die Küche ist immer noch und immer wieder parat, geputzt zu werden. Ich räume zum hundertsten Mal die Kleiderhaufen meiner Familie an allen Orten in der Wohnung zusammen, alternativ Spielzeug oder Glacepapierli.

Da ist ganz viel Übergriffiges mir gegenüber.
Über das ich Hinwegsehen muss.
Ich muss ertragen, dass ich nicht gehört werde. Wenn ich ums Wegräumen bitte. Ums Gehorchen bitte, damit das System hier funktioniert. Ich muss dysregulierte Kinder halten und aushalten. Ich muss trotz Schlafmangel aufstehen oder wachbleiben. Ich muss arbeiten, obwohl ich keine Pause hatte.

Das ist schlicht zuviel.

Nicht nur manchmal, eigentlich immer.
Nur kann ich sehr oft ausgleichen, kann ertragen, kann liebevoll bleiben oder zumindest ruhig. Kann mich in all dem gut befürsorgen.

Aber halt nicht immer.

Wütend werden ist Zuvielhaben.
Nicht gehört worden sein.
Nicht gesehen sein.
Alleine sein.
Wütend werden ist Scham.
Ist Trauer über Umstände.
Ist Selbstschutz.
Ist Genug.

Wer mich gehalten hat, als ich das letzte Mal wütend und weinend war?
Meine Kinder.

Die kleinen Hand, die sich auf meine Schulter legte und einfach dort blieb. Ein Kind, das sagte: «Tut mir leid für dich, Mama.»

Die Menschen, deren Mitmirsein zuweilen übergriffig ist, sind in den Momenten, in denen ich nicht mehr halten kann, die, die da sind. Natürlich wäre es hilfreich, wären da Erwachsene, die kurz oder lang einspringen. Die entlasten, damit ich wieder Ressourcen aufbauen kann zu tragen. Aber meist sind wir da alleine, die Kinder und ich. Wir Eltern und die Kinder.

Habe lange überlegt, ob das falsch ist, meine Wut. Ob die dadurch erfolgende Wortausbrüche (andere bezeichnen sie als Gewalt) nicht sein dürften. Wie brutal es ist, alles so gut zu mache über so weite Strecken und dann trotzdem übergriffig zu werden. Schuldig zu werden, weil es in solchen Momenten keine anderen Wege mehr gibt. Weil ich in einem übervollen Alltag stecke, aus dem man nicht jederzeit einfach raus kann. Und darf ich denn hemmungslos weinen oder mich ausdrücken, wenn mir JETZT alles zu viel ist? Ich kann doch nicht meine Gefühle in dieser Heftigkeit einfach auf später verschieben. Wenn ich eventuell Feierabend und Ruhe habe. Kann auch nicht in eine stille Kammer, in den Wald oder aufs Klo, wir sitzen leider grad alle im Auto (oder so).

Ich will nicht wegerklären. Ich will aber auch nicht so tun, als wäre ich souverän. Während ich die Gefühlsstürme meiner Kinder verstehe und sie mir zumuten lasse, ihnen stets eine Übermutterversion von mir präsentieren. Ich schaffe das schlicht nicht. Die Umstände lassen das nicht zu. Ich will das auch nicht.

Was ich will ist, in Verbindung bleiben. Auch in meiner Wut. Ich glaube, das geht. Sie als Gefühl zulassen ohne dabei zu vergessen, wer mit mir ist. Meine schutzbedürftigen Kinder.
Brückenbauen, indem ich erkläre. Noch während des Wütendseins. Versöhnlich bleiben. Mit ihnen das Gefühl aushalten. Ihnen vorleben, wie das geht, Wütendsein ohne zu zerstören. Ohne aus der Verbindung zu gehen. Zulassen, dass sie Verantwortung für unsere Beziehung spüren, ohne deswegen ab jetzt alles richtig machen müssen. Zulassen, dass sie trösten – weil es gut tut, nicht, weil es mich besänftigt. Zulassen, dass sie mich fassungslos erleben und erleben, wie wir wieder Boden finden.
Ich für mich. Wir für uns.

 

 

Wut hat das Potenzial zu zerstören. Beziehungen und Kinderseelen.
Es ist unsere Verantwortung, unsere Wut zu gestalten.
So, wie wir unseren Kindern helfen, ihre Wut so auszudrücken, dass sie nicht zerstörend ist, können wir uns helfen, indem wir uns alternative Ausdrücke und Handlungen angewöhnen, die kraftvoll aber nicht abwertend sind.

 

Bild: Qiu Dexing

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