Wie kann ich glücklich sein?

Es gibt ein Bild von mir und meinem Bruder, das über Jahre hinweg im Haus meiner Grossmutter hing. Ich stelle mir grad vor, wie wir damals wohl widerwillig in unserem Garten posiert haben, damit Grosi endlich wiedermal ein «anständiges» Foto von uns bekommt. Ich war Teenager mit Haut und Haar, als das Foto aufgenommen wurde.

Hach, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie fest ich mich für dieses Foto bis heute schäme.

Meine Brille war violett-orange. VIOLETT und ORANGE, damit wir uns richtig verstehen.

Naja, vielleicht wurde man dadurch ja bestenfalls von der Akne, die in meinem Gesicht ebenfalls sehr präsent war, abgelenkt. Als wäre das nicht genug, blitzte hinter meinem gestellten Lächeln ein «Gartenhaag» hervor. Oben und unten. Do you feel me? Und «Style» war damals das, was man im Jelmoli-Katalog bestellen konnte.

Ihr merkt, ich bin nicht ganz versöhnt mit meinem damaligen Ich. Und doch mag ich mich an etwas noch genau erinnern: Nämlich daran, wie ich mir damals mein Leben weiter geträumt habe. Wie ich in der Schule sass und dachte: «Wenn die Schule endlich vorbei ist und ich einen Beruf erlernen und Geld verdienen kann, dann beginnt mein Leben…»

Die Schule war vorbei, ich in der eben noch herbeigesehnten Lehre und dachte: «Ach, wenn ich endlich fertig bin, kann ich ins Ausland, andere Kulturen und Sprachen kennen lernen.»

Check. Hab ich gemacht.

Aber dann kam schon der nächste Wunsch: «Wenn ich dann endlich mal meinen Traummann kennen lerne, dann bin ich so richtig glücklich.» Und ich hab wirklich den Besten kennen gelernt und durfte ihn auch noch heiraten. Und das, obwohl er noch in der Dating-Phase mit oben erwähnten Foto konfrontiert wurde. Lucky me!

Schon bald mussten zum perfekten Glück auch noch Kinder her.

Aus Sicht von meinem Teenager-Ich sollte ich spätestens jetzt total erfüllt und happy sein, bevor es dann schon wieder bergab geht (denn mit 40 ist das Leben ja quasi gelaufen).

Jetzt bin ich glücklich. Habe vieles, wovon ich immer geträumt habe. Eigentlich.

Und doch erwische ich mich auch jetzt, als gestandene Frau regelmässig bei diesen «Wenn, dann…-Gedanken».
Beispiele gefällig?

Das Kind beschliesst morgens um sechs aufzustehen, und alle anderen, noch friedlich schlafenden, Familienmitglieder lautstark darüber zu informieren. Und ich denke: «Ach, WENN diese Phase endlich vorbei ist und am Wochenende vor 11Uhr morgens keiner freiwillig aufsteht, DANN beginnt mein Leben wieder.» (Im Wissen darum, dass es dann wohl einen Blogpost von mir über drei Teenage-Girls in einem Badezimmer gibt).

Oder ich finde keinen Babysitter für einen Anlass, wo ich schampar gerne hingehen würde und denke: «Ach, WENN die endlich mal gross genug sind, um alleine daheim zu bleiben, DANN rock ich mein Leben wieder so richtig.» (Im Wissen darum, dass es dann wohl eine Blogpost von mir darüber gibt, wie man einen Herzinfarkt vermeidet, wenn die Kinder in der Grossstadt im Ausgang sind).

Oops. Zvieri am Boden…

Oder ich sehe auf Social Media Fotos von Kolleginnen in den Ferien und bekomme Fernweh. Sehne mich nach mehr Freiheiten. Besuche Freundinnen in ihrem Eigenheim und vergleiche es mit unserem gemieteten Haus. Ich sehe auf Pinterest die neusten Deko-Trends und: Ich will auch. Alles. Und zwar jetzt.

Meine Dankbarkeit weicht schleichend einer leisen Unzufriedenheit, die sich rasant auf meine Familie und mein ganzes Leben überträgt. Mein Herz blendet langsam aus, was ich alles haben darf und bin, und schaut auf das, was vermeintlich auch noch sein müsste.

Wenn, … dann. Ja, was dann überhaupt?

Vor Jahren habe ich mit ein paar Freundinnen gemütlich in einer Stube gesessen und gemeinsam den Podcast einer Menschenrechtsaktivistin angehört. Ein Satz daraus ist mir mitten ins Herz geschossen und begleitet mich seit da immer wieder. Er lautete simpel:

«Embrace your place». Umarme das, wo du grad drin steckst.

Ja, das kann herausfordernd sein. Wenn der Alltag nicht nur am Tag stattfindet, sondern auch in der Nacht. Stundenlang, mit einem weinenden Kind im Arm. Und am Morgen danach, wenn man nicht mal ohne quengelnde Zuschauer duschen kann.

Ja, es ist herausfordernd, die Nöte unserer Kinder zu sehen und auszuhalten. Und ja, es ist herausfordernd, wenn die Paarbeziehung darunter leidet, wenn man jahrelang in den besten Momenten gestört wird, weil im Kinderzimmer irgendwelche imaginären Monster verjagt werden müssen.

Wenn ich auf mein Leben zurück schaue, sehe ich, dass Glücklichsein nicht so viel mit meinen äusseren Umständen zu tun hat. Mit dem was ich alles erreicht habe. Oder eben nicht. Sondern vielmehr damit, was in meinem Herzen ist, auf was ich fokussiert bin. Ob es mir mitten im Chaos gelingt, den Fokus auf das eine Lächeln eines Kindes zu haben. Darauf, wie sie mich anschauen. Wie ich ihre Heldin bin. Wie sie sich auch mich verlassen. Immer wieder. No matter what.

Trotz Augenringen, trotz mieser Stimmung, trotz Kilos in meiner Bauchregion, die offensichtlich gekommen sind um zu bleiben.

Ich möchte aufhören, ständig auf das Perfekte zu warten. Denn das gibt es nicht. Und doch ist es schon da.

Einer jener ‘perfekten Momente’.

Nicht in den grossen Dingen. Sondern im Alltag. Im Moment. Im Kleinen. Wenn ich dauernd warte auf das «dann:, dann lebt mich mein Leben, ohne dass ich es je bewusst gelebt oder genossen habe. Und ich merke: Egal wie viel ich mir ermögliche, es gibt immer ein neues «Wenn, dann». Erfahrungsgemäss bin ich nicht glücklicher, wenn ich alles habe, sondern ich bin glücklich, wenn ich meine jetzige Situation annehmen und mich über Kleinigkeiten im Leben freuen kann. Wenn ich weiss, wer ich bin und was ich kann. Und was nicht. Jetzt. Nicht morgen. Und dann darf ich mich auch über all das freuen, was noch werden kann. Aber nicht muss.

Ich muss auch nicht dem Leben von jemand anderem nachstreben. Denn ich habe weder die Familie, noch die Beziehung, noch die Möglichkeiten von jemand anderem. Sondern meine. Und für die möchte ich mich sein. Die möchte ich umarmen, mit allem Schönen und mit allem weniger Schönen (Aber Gott sei Dank ist meine Akne weg!).

Bild: Lidya Nada, Unsplash

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Ein Kommentar zu “Wie kann ich glücklich sein?

  1. Liebe Janine

    Ich bin noch kein Mami und erwarte auch kein Kind, aber da ich beides einmal möchte, treibe ich mich oft auf eurem Blog herum.
    Dein Beitrag hat mich trotzdem gerade in meiner Situation bestärkt. Denn ich versuche selbst gerade, im Moment glücklicher zu sein, meinen Optimismus wiederzuerlangen und im Moment zu leben anstatt in der Zukunft oder in den Fehlern der Vergangenheit.
    Dein Beitrag macht mir Mut, denn er zeigt mir, dass ich nicht die einzige bin, die sich manchmal doch zu sehr in etwas reinsteigert und dabei das Leben und Glücklichsein im Moment vergisst. Und es zeigt mir, dass ich genau das noch vor dem Mami-werden etwas verbessern möchte. Dass ich mit mir selbst glücklich sein möchte so gut es geht und eine positive Einstellung zum Leben habe, um eben diese Dinge dann festzuhalten und hoffentlich an meine zukünftigen Kinder weiterzugeben. (Und auch ein bisschen, weil ich denke, es ist für mich selbst einfacher, wenn ich diese Dinge lerne, bevor ich Kinder bekomme, die mich dann zusätzlich fordern^^)

    Liebe Grüsse
    Sarah

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