Nur einer von beiden will noch ein Kind mehr. Einseitiger Kinderwunsch – wie weiter?

Doch noch ein Kind? Oder lieber keines mehr? Wenn Paare sich ob der Anzahl Kinder nicht einig sind, kann ein einseitiger Kinderwunsch zur grossen Belastungsprobe für die Eltern werden. Wir haben bei Veronika Schmidt, Paartherapeutin und Sexologin nachgefragt, wie man eine solche Frage anpackt, welcher der beiden nachgeben muss und wie man als Paar damit leben lernt, wenn ein Kompromiss nicht möglich ist.

Veronika Schmidt

Die 59-Jährige hat vier eigene und vier Pflegekinder grossgezogen. Sie ist verheiratet und wohnt in Schaffhausen, wo sie auch ihre Praxis für Systemtherapie und Sexologie führt. Veronika Schmidt hat zwei Bücher zum Thema Sexualität geschrieben und eines zum Thema Gleichberechtigung von Frau und Mann und bloggt auf www.liebesbegehren.ch.

Sie will. Er nicht. Oder umgekehrt. Wie häufig sitzen solche Paare bei dir in der Praxis?

Selten bis nie. Zumindest kommen die Paare nicht deswegen. Es ist ein Tabuthema. Doch meist ploppt es auf, wenn man beginnt darüber zu sprechen, warum sie in der Beziehung nicht glücklich sind. Manchmal ist es dann sogar tatsächlich die Ursache der Differenzen. Denn es ist eine sehr entscheidende Frage, wie man damit umgeht, wenn man als Paar ungleiche Vorstellungen hat. Wer darf seine Vorstellung durch drücken?

Kinder können ja nie ein Kompromiss sein. Ein halbes Kind gibt es nicht…

Ich vergleiche das Thema häufig mit dem Auswandern. Der eine will, der andere nicht. Man hat nur zwei Optionen: Entweder begräbt der eine seine Wünsche. Oder der andere macht zuliebe, was er eigentlich nicht möchte und bringt ein Opfer.

Wie kommt man als Paar zu einer Lösung?

Ein Schlüssel ist das Gespräch, in dem man die Sachlage klar ausdrücken kann. «Ich wünschte mir noch…» und die Beweggründe dazu. Und der andere legt ebenfalls seine Beweggründe dar, warum er sich das nicht vorstellen kann. Manchmal eröffnet sich bereits da ein Weg.

Was sind denn die Gründe, die genannt werden?

Gegen ein weiteres Kind sicher der wirtschaftliche Faktor. «Wir können uns das nicht leisten oder wollen das nicht leisten.» Dann den Belastbarkeitsfaktor – es gibt Eltern, die mit einem oder zwei Kindern genug gefordert sind. Nicht alle empfinden Kinder zudem uneingeschränkt als Bereicherung. Oder die Sinnfrage: «Ist es gut, heute noch Kinder zu haben?» Die kann sowohl gegen wie auch für ein Kind sprechen.

Was sind Argumente, die für ein Kind sprechen?

Natürlich, wenn man noch Platz dafür im Herzen hat und Kraft für die erweiterte Aufgabe. Aber ich habe bei einigen Frauen erlebt, dass sie wie einen inneren Schwur verfolgen, was die Anzahl Kinder betrifft. Eine Vorstellung, die sie begleitet, womöglich bereits seit dem Teenageralter. Dann kann der Kinderwunsch fast zum Zwang werden.

Ist es denn falsch, solche Vorstellungen zu haben?

Nicht unbedingt. Jedoch gibt es manchmal so eine romantische, märchenhafte Fixierung, wie das Leben ablaufen muss. Wie der Mann sein sollte, wie der Antrag, wie die Hochzeit. Und das Kinderhaben gehört dazu. Und nur, weil meine Vorstellung so stark ist, ist das noch lange keine Legitimation, dass ich das vom Leben oder jemanden verlangen und erwarten darf. Ich muss diese Vorstellungen hinterfragen. Für mich ist das eine Form von Unreife, wenn man daran festhält, es verleitet zu Fehlschlüssen.

Jedoch gibt es manchmal so eine romantische, märchenhafte Fixierung, wie das Leben ablaufen muss.

Wie meinst du das?

Ich habe so viele Paare in Beratung, die geheiratet haben, weil sie «ein schönes Pärchen abgeben». Aber eigentlich haben sie gar nicht viel gemeinsam. Und alle rundherum sagen: «Oh, ihr seid so ein cooles Paar. Ihr solltet unbedingt heiraten.» Und es passt alles in das romantische Bild – ausser, dass sie sich wenig zu sagen haben. Oder man heiratet die «günstige Gelegenheit», um sich seinen Kinderwunsch zu erfüllen.

Also lieber einmal mehr sich reflektieren und fragen, warum man Dinge will – oder nicht will?

Ja, manchmal ist es auch das Umfeld, das Dinge suggeriert wie «Ein Kind ist kein Kind». Oder man hat das Gefühl «Mit so und so vielen Kindern bist du vollkommen». Manchmal wird das gar nicht hinterfragt. Es gibt Frauen und Männer, die eigentlich glücklich wären mit zwei Kindern, aber weil ihnen die Umgebung vermittelt, man solle doch mehr Kinder haben, wagen sie es gar nicht, dies in Frage zu stellen und zu sagen, dass sie bereits am Limit sind.

Es scheint öfter vorzukommen, dass sich Frauen ein weiteres Kind wünschen.

Erstaunlich ist, dass Mütterlichkeit meint, sie sei per se im Recht. Das ist sie nicht. Eine Frau denkt häufig, ihr Kinderwunsch sei grundsätzlich legitim. Einfach mal so. Wenn der Mann nicht will, ist er automatisch der Klemmer.

Was müsste sie hinterfragen?

Ihren Anspruch. Auf etwas ein Recht zu haben. Sie geht davon aus, dass es ihr Recht sei, so viele Kinder zu haben, wie sie gerne hätte. Wenn das rein biologisch klappt, hat sie Glück gehabt. Aber es gibt kein Recht auf ein Kind. Ganz generell nicht. Ein Kind lässt sich auch nicht einfach der Natur abringen.
Obwohl wir inzwischen mega weit gehen, um uns das Recht auf ein Kind zu nehmen.

Es gibt kein Recht auf ein Kind. Ganz generell nicht. Ein Kind lässt sich auch nicht einfach der Natur abringen.

Leben geschieht manchmal einfach. Es ist, wie es ist. Sich dagegen aufzulehnen kann extrem unglücklich machen.

Wieso sollte man das nicht tun?

Genauso, wie es kein Recht auf Sex gibt, gibt es kein Recht auf ein Kind und auf viele andere Dinge auch nicht. Wir sollten gewisse Dinge im Laufe des Lebens akzeptieren können. Leben geschieht manchmal einfach. Es ist, wie es ist. Sich dagegen aufzulehnen kann extrem unglücklich machen. Mich und den anderen. Denn es macht etwas mit einem und mit einem als Paar, wenn man dem Leben Dinge abtrotzt.

Was denn?

Es höhlt das Commitment, die gegenseitige Verpflichtung und das Zueinanderstehen, aus und stellt die Verantwortung füreinander in Frage. Wenn einer in der Paarbeziehung aus emotionalen, kräftemässigen, finanziellen Gründen sagt, er sehe es nicht. Es sei zu viel. Dann würde das Commitment und die Verantwortung füreinander versuchen, das ernst zu nehmen.

Gilt das umgekehrt auch?

Ja, das ist genau dasselbe. Wenn einer sagt «Aber ich bin mega traurig, ich habe so einen Herzenswunsch, ich will das unbedingt». Dann müsste der andere das mindestens überdenken und prüfen und sich fragen: «Kann ich mir einen Ruck geben?»

Und wie kommt man zu einer Entscheidung?

Letztendlich, wenn der eine einfach nicht kann, müsste der andere eigentlich verzichten.

Warum nicht umgekehrt?

Ich glaube nicht, dass es für eine Paarbeziehung gut ist, den anderen zu etwas zu zwingen. Die Frage ist immer: Zwingt Liebe oder verzichtet Liebe? Und so betrachtet, sollte Liebe besser verzichten oder aus freien Stücken einwilligen. Es passt nicht zur Liebe, dass sie zwingt.

Die Frage ist immer: Zwingt Liebe oder verzichtet Liebe?

Gerade bei dieser Frage ist aber schwierig zu sagen, wer zwingt jetzt wen? Ich kann gerade so gut auch kein Kind erzwingen.

Letztendlich ist Paarbeziehung eine Verhandlungssache, immer. Egal, worum es geht. Ferien, Anschaffungen, wer was übernimmt im Alltag, in der Kindererziehung, Wertvorstellungen, Berufstätigkeit. Wenn ein Paar aufhört zu verhandeln, wird es schwierig. Dann kommen Ultimaten, Verweigerung, Trotzen, Manipulieren…, das alles stellt die Paarbeziehung irgendwann in Frage. Letztendlich geht es dann nicht mehr nur um den Kinderwunsch, sondern darum: Wie gehen wir mit Fragen um, bei denen wir nicht derselben Meinung sind?

Wie findet man bei solchen Fragen eine gemeinsame Basis?

Indem man einander entgegen kommt. Nehmen wir das Beispiel der Sexualität. Da haben wir gesellschaftlich einen grossen Weg hinter uns. In den früheren Ehegesetzen war Sex Pflicht. Die Frauen waren nicht gleichberechtigt. Erst in neuerer Zeit der Gesetzgebung wurde festgelegt, dass Sex keine Pflicht ist, nicht eingefordert werden kann oder dass Vergewaltigung in einer Ehe strafbar ist. So gesehen kann nichts eingefordert werden in einer Beziehung. Aber es kann ganz vieles vorausgesetzt werden. Wir gehen heute bei einer Heirat trotzdem davon aus, dass man in einer Ehe Sex hat. Die Paarbeziehung muss letztlich ein Konsens sein.

Und Liebe ist die Grundlage eines Konsens, bei dem man dem anderen zuliebe etwas macht.

Was geschieht, wenn keiner bereit ist, von seiner Position abzuweichen?

Das wird schwierig. Letztendlich kann sie ihm ein Kind unterjubeln, er kann es verweigern. Gut tut beides der Beziehung nicht. Paare können an einer Pattsituation scheitern.

Wie geht man mit dieser Pattsituation als Paar um?

Unverheiratete Paare, die sich die Frage stellen, ob sie Kinder wollen oder nicht, trennen sich oft an diesem Punkt. Weil sich das nicht vereinbaren lässt. Aber wenn man bereits Familie hat, dann lautet die Frage: «Brauche ich für mein Glück zwingend nochmals ein Kind oder kann ich darauf verzichten, weil es dem anderen damit nicht gut geht?» Ich hatte mehrere Paare in der Praxis, da stand irgendwann die Problematik im Raum, dass es Kinder gibt, die der eine unbedingt noch wollte und der andere nicht. Und es zeigte sich, dass es eine emotionale Schranke gab gegenüber diesem Kind, von demjenigen, der es gar nicht mehr wollte. Das finde ich für das Kind sehr tragisch.

Wenn man bereits Familie hat, dann lautet die Frage: «Brauche ich für mein Glück zwingend nochmals ein Kind oder kann ich darauf verzichten, weil es dem anderen damit nicht gut geht?

Für jedes Kind muss man Platz schaffen im Leben und im Herz. Das Kind in sein Leben hinein lassen.

Wie geht man damit um, wenn ein Kind zur Welt kommt, das eigentlich nicht gewollt wäre?

Schon unter normalen, guten Voraussetzungen ist Kinder haben eine Entwicklungsaufgabe, eine Herausforderung. Für jedes Kind muss man Platz schaffen im Leben und im Herz. Das Kind in sein Leben hinein lassen. Das wird nochmals speziell herausfordernd, wenn das Kind reinschneit. Kann ich Platz machen für dieses Kind? Und sollte ich Platz machen? Unbedingt! Es ist für jedes Kind mega tragisch, wenn es diesen Platz nicht kriegt. Das merkt das Kind.

Wie kann man Liebe zu diesem Kind finden?

Dass man sich zuerst eingesteht, was die Umstände mit einem machen. Als junge Mutter, die erst noch eine Ausbildung machen wollte beispielsweise. Ein Kind, das zu früh kommt und Träume und Pläne zerstört. Dass man sich diese Enttäuschungen und den Frust bewusst macht und sich auch davon verabschiedet. Enttäuschung eingestehen und Enttäuschung loslassen ist ein Versöhnungsprozess. Ich will mich mit der Tatsache versöhnen, dass das Kind da ist. Das Kind hat das verdient. Es kann nichts dafür, dass ich andere Vorstellungen hatte. Sich sagen: «Ich will meinem Kind diesen Umstand bewusst nicht als Last auflegen.»

Wie macht man das?

In meiner Praxis hängt ein Schild mit der Aufschrift «Loslassen, immer wieder loslassen». Annehmen und loslassen – das ganze Leben hat damit zu tun. Und es hat immer mit mir zu tun. Nicht mit dem Kind. Ich muss loslassen, dass ich andere Erwartungen hatte. Das ist oft ein Erkenntnisschritt und ein Willensakt.

Wie schaut das aus?

Beispielsweise, indem ich mit mir direkt in eine Auseinandersetzung gehe. Gerade das Selbstgespräch kann eine Therapieform sein. Sich immer wieder sagen: «Gehe nicht in die Negativspirale. Lasse wieder los. Mach dein Herz auf und mache Platz für das Kind». Coach sein von sich selber.

Als derjenige, der das Kind nicht wollte. Wie kann ich unsere Beziehung positiv weiterführen?

Im Prinzip ist der Weg immer derselbe: Loslassen, versöhnen, einander respektieren.

Doch wenn es spezifisch um Partnerschaft und Kinder geht, dann gibt es noch ein weiteres Bewusstsein, das man suchen sollte. Nämlich, dass die Zeugung eines Kindes eigentlich ein Versprechen ist.

Dasjenige, dass ich als Mutter und Vater mein Bestes geben will für mein Kind. Ob gewollt oder nicht gewollt. Ich glaube, wenn beide das so verstehen, findet man sich auch als Paar wieder. Es kann aber auch sein, dass das Versprechen ans Kind da ist und die Partnerschaft trotzdem scheitert. Vielleicht kommt das Kind, obwohl man als Paar beschlossen hat, dass man nicht zueinander passt. Das Versprechen an mein Kind gilt trotzdem, auch wenn wir auseinander gehen. Das würde heissen: Ich suche einen möglichst guten Weg mit dem anderen Elternteil und trage nicht Konflikte auf dem Rücken des Kindes aus. Spannend ist, es gibt zwei Sichtweisen auf die Paarbeziehung.

Ich suche einen möglichst guten Weg mit dem anderen Elternteil und trage nicht Konflikte auf dem Rücken des Kindes aus.

Wie sehen diese zwei Sichtweisen denn aus?

Die eine lautet: «Mutter und Vater bleibe ich immer, als Paar bleiben wir vielleicht nicht.» Damit stelle ich die Kinder vor die Partnerschaft. Heisst hingegen der Grundsatz: «Paar bleiben wir für immer, Kinder ziehen mal aus, die muss ich alle loslassen – hoffentlich». Dann habe ich eine andere Sicht auf Paarbeziehung und das lässt letztendlich auch die Kinderfrage nochmals in einem anderen Licht erscheinen. Ich finde, man muss sich bewusst sein, dass man die Partnerschaft nicht über Kinder definieren sollte. Dann steht Partnerschaft vor Elternschaft. Wenn eine Partnerschaft gut ist, profitieren die Kinder praktisch immer.

Wie sieht der Alltag aus, wenn Eltern zusammenstehen?

Ich habe jahrelang Erziehungskurse gegeben. Wenn Eltern zusammenstehen als Paar, dann setzen sie sich nicht nur für die Kinder, Beruf und Alltag ein, dann räumen sie auch ihrer Liebesbeziehung Zeit ein. Setzen entsprechende Prioritäten. Viele Männer fühlen sich beispielsweise wegen der Kinder in der Beziehung an den Rand gedrängt. Es gibt Elternpaare, die es nicht schaffen, auch mal alleine weg zu gehen. Ich kenne alle Ausreden: «Wir haben keine Hüeti, etc.» Aber es ist eine Frage der Priorität. Wenn ich das will, dann finde ich den Weg.

Was heisst das für die Paarbeziehung im Alltag?

Im Alltag sollte es Momente geben, in denen Eltern sagen: «Jetzt ist Mama-Papa-Zeit, ihr Kinder spielt für euch selbst. Wir haben Mittagsruhe und ihr könnt später mit euren Sachen kommen.» Sich kleine Inseln schaffen und die auch deklarieren und verteidigen und den Kindern zumuten, dass es nicht immer um sie geht. Erstens können sie problemlos damit umgehen und zweitens müssen sie lernen, dass ihre Bedürfnisse nicht immer im Vordergrund stehen. Wobei…

Wobei was?

Es gibt schon Extremfälle, gerade habe ich ein Paar vor Augen, bei dem der Mann einforderte, dass, wenn er zuhause ist, sich alles nur um ihn dreht. Das ist auch keine gute Paarbeziehung. Das meine ich nicht. Ich spreche von dem Commitment und dem Konsens. Gleichstellung und Gleichberechtigung. Die Aufgabenteilung. Das muss alles verhandelt werden. Und es muss auch verhandelt werden, welche Stellung die Kinder im Familiensystem haben und welche Stellung das Paar. Mit der Frage: Tragen wir dem im Alltag Rechnung, wie wir es uns vorgenommen haben?

Wie schafft man eine Ebene, auf der man als Paar in dieser Form darüber reden kann?

Ein Commitment kann auch eine unausgesprochene Übereinstimmung sein. Eigentlich ist egal, wie die Übereinstimmung zustande kommt, wenn sie beide mittragen. Mit viel oder wenig reden.

Schwierig wird es dort – wo man nicht miteinander über schwierige Dinge sprechen kann.

In erster Linie geht es hierbei auch nicht um Kommunikations-Skills, sondern darum: Gelingt es uns, auch, schwierige Sachen zu thematisieren? Können wir einander sagen, dass man etwas Scheisse findet? Sagen: «Das regt mich auf»? Ohne, dass es eskaliert – ob man explodiert oder dann grad nicht mehr miteinander spricht, sich zurückzieht, schmollt… nicht mehr sprechen ist auch Eskalation. Kann ich das aushalten, dass wir um einen Kompromiss ringen müssen und der andere das nicht gleich sieht wie ich?

Was, wenn das nicht funktioniert?

Das wird langfristig zu einer Belastung in der Partnerschaft. Dann ist es angesagt, eine Beratung aufzusuchen und sich zeigen zu lassen, wie man konstruktiv streitet, miteinander kommuniziert. Die wenigsten von uns haben das in der Familie zuhause wirklich gelernt. Um das zu lernen, braucht es manchmal nur wenige Anstösse. Ein Bewusstmachen von gewissen Mustern, die helfen können. Dass man ein paar Kommunikations-Regeln beherzigt – und dann wird es schnell wieder einfacher.

Zurück zu der Grundfrage. Einer möchte noch ein Kind, der andere nicht. Wenn ich derjenige bin, der das Kind wollte, und jetzt ist es da. Was ist meine Aufgabe? Wie kann ich meinen Partner in seinem Prozess der Annahme unterstützen?

Indem ich mir eingestehe, dass ich dem anderen meinen Wunsch zumute. Versuchen, ihm das so einfach wie möglich zu machen, indem ich seine emotionale Ausgangslage akzeptiere. Die Lösung ist trotzdem nicht, zu sagen: «Ich mache alles, du musst bei diesem Kind nichts machen.»
Sondern versuchen, ihn mit ins Boot zu nehmen, auf ihn zugehen. Wenn er mal einen Lätsch macht über der Tatsache, dass es stressig ist und eine Bemerkung macht wie «Siehst du, hätten wir nicht, wäre nicht» – ruhig bleiben. Anerkennen, dass es für ihn einen Effort braucht, um sich auf die Schwangerschaft und das Kind einzulassen. Die Bereitschaft, ein Gespräch zu führen, das den Frust des anderen zulassen kann.

Wie kann so ein Gespräch aussehen?

Einerseits den Frust thematisieren. Auch Verständnis und Trost ausdrücken sind eine gute Sache. Und dann gemeinsam besprechen, wie man damit als Paar umgehen möchte. Wie man gemeinsam einen Weg finden könnte. Frage: «Was würde dir helfen von meiner Seite? Damit du kannst?» Aber letztendlich muss dieser Schritt jeder alleine gehen. Auch bei dem Verlust eines Kindes ist das so: Nebst dem, dass man miteinander spricht, muss oft jeder für sich einen eigenen Akzeptanz- oder Trauerweg finden.

Wenn man zugunsten des Partners verzichtet, muss man teils wirklich Trauer bewältigen. Bewusst Abschied nehmen. Sagen: «Es wäre ein Traum gewesen, aber den lasse ich jetzt los».

Man trauert auch, wenn man dem Partner zuliebe das Wunschkind aufgibt.

Da ist es wichtig, dass es einen Abschied gibt, eine Trauerarbeit. Wenn man zugunsten des Partners verzichtet, muss man teils wirklich Trauer bewältigen. Bewusst Abschied nehmen. Sagen: «Es wäre ein Traum gewesen, aber den lasse ich jetzt los». Das ist auch für alle extrem wichtig, die Kinder verlieren. Und für Menschen, die mit Kinderlosigkeit konfrontiert sind.

Wie kann so ein Abschied aussehen?

Kürzlich habe ich von einem Paar gelesen, das den Plan hatte, eine Familie mit «mindestens zehn Kindern» zu gründen. Doch sie konnten nicht schwanger werden. Schliesslich haben sie zehn Ballone steigen lassen. Auf jedem Ballon einen Namen, den sie sich für ihre Kinder hätten vorstellen können. Das kann man auch tun für nicht mehr geborene Kinder, die man sich gewünscht hätte. Loslassen, sich verabschieden. Bewusst abschliessen. Sonst steht das als Dauervorwurf in einer Paarbeziehung.

Wie kann ich die Grenzen des Partners akzeptieren?

Da ist die Frage, wie sehen wir Schuld und Sühne. Ich bin auf ihn wütend, trage ihm nach, weil er nicht eingewilligt hat. Dann muss ich ihm vergeben, dass ihm das nicht möglich war. Aber vergeben, das mache ich immer mir zuliebe, nicht für den andern. Ich vergebe, damit ich frei werde von der Anklage. Nicht um den anderen freizusprechen. Nicht, weil er an mir schuldig wird. Sondern weil ich ihm das vorwerfe. Das ist ein riesiger Unterschied.

Das tönt spannend.

Wir haben da manchmal Vorstellungen von Vergebung, die nicht funktionieren. Ich vergebe nicht dem andern zuliebe. Ich vergebe mir zuliebe. Weil ich sonst an das Ereignis oder an den anderen negativ gebunden bleibe. Und mich Lösen von dem Negativen, das kann nur ich selber.

Was kann Partner dazu beitragen, dass es mir gelingt?

Es ist eine Aufgabe des anderen, zu trösten. Dass er enttäuschen muss, dass er dem andern das zumutet. Dass er sagen kann: «Es tut mir mega leid, dass es dir weh tut.» Verständnis kommunizieren. Wenn möglich echt und nicht einfach nur aufgesetzt. Es würde sich bedingen, sich in den Schmerz des andern einzufühlen, anzuerkennen, ihn zu würdigen. Zu sagen: «Ich kann verstehen, dass das schwer ist für dich. Es tut mir leid, dass ich dir das abverlange. Aber ich merke, ich kann nicht.»

Es ist eine Aufgabe des anderen, zu trösten. Dass er enttäuschen muss, dass er dem andern das zumutet. Dass er sagen kann: «Es tut mir mega leid, dass es dir weh tut.»

Und wie geht man von da aus weiter?

Ich wünschte mir, das Kinderthema könnte auf einer übergeordneten Ebene diskutiert werden, nicht einfach bei «Ich will oder ich will nicht.»

Wie würde das dann aussehen?

Dass das Leben manchmal selbst entscheidet. Und ich das akzeptieren lernen kann. Die Herausforderung der heutigen Zeit: Wenn wir davon ausgehen, dass alles machbar ist, dass wir für alles Verantwortung tragen; das überfordert. Über Generationen versuchten Menschen mit dem klar zu kommen, was ihnen das Leben anbietet oder zumutet. Und haben das Beste daraus gemacht. Wir im Heute sollten das Leben viel gelassener angehen. Versuchen, aus dem Ist-Zustand das Beste zu machen. Wenn also der eine Partner findet: Lass es gut sein. Oder der andere findet: Lass es uns probieren. Und ich eigentlich gar keine grosse Widerstände habe, dass man es einfach probiert und schaut, was daraus wird. Eifach chli läbe. Nicht nach Vollkommenheit und Perfektion streben. Einfach gut sein lassen. Gut ist gut genug.

Weitere Texte zum Thema sind:

Bilder: Kelly Sikkema Unsplash

Teilen mit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert