Geschrieben im Herbst 2019
Muttermilch ist das Beste. Warum wir überhaupt Kühe melken und nicht Mütter – fast schon unverständlich bei einem solch hochgelobten Produkt.
Weisses Gold.
Mein Körper produziert es. Mein Verhältnis dazu ist auch beim vierten Kind ambivalent. Wer möchte schon Milch aus seinen Brustwarzen rausdrücken können? #milkismysuperpower macht die Sache auch nicht besser. Dieses ganze Milchproduzieren ist irgendwie zu archaisch für mich.
Aber da hat man schon weit Krasseres produziert als Milch. Nämlich einen ganzen Menschen. Da ist Milch Peanuts.
Leider nicht.
Die Milchproduktion ist zwar mehrheitlich ein Selbstläufer. Zuweilen im wahrsten Sinn des Wortes.
Was hingegen so gar kein Selbstläufer ist, ist der Akt von Produktions- zu Konsumationsstätte. Stillen ist nämlich nicht etwas, was nur ich tue – wie man gemeinhin glaubt. Zum Stillen braucht es immer zwei. Und diese Stillbeziehung, wie man das korrekterweise nennt, birgt in sich alles, was Beziehungen auch sonst so mit sich bringen. Unter anderem:
Keine Garantie fürs Glück.
Und das veranlasst mich dazu, entgegen allen Befürchtungen, mit diesem Blogpost einen Shitstorm zu landen, das Stillen mal von der entromantisierten Seite so ganz ohne Instagramfilter zu betrachten.
Stillen hat häufig so gar nichts Liebliches an sich.
Stillen ist häufig harte Arbeit. Verbunden mit Schmerzen. Mit viel Tränen und viel Hilflosigkeit.
Stillen ist unverschämt grenzwertig.
Stillen löst Gefühle aus, an die bisher kein Ereignis meines Lebens herankommt.
Stillen kann Abgründe auftun, die einen zum Tier werden lassen.
Warum ist das so?
Ich hatte die ganze Bandbreite von Stillkindern. Eines, bei dem der Stillakt einem Ringkampf glich, der sich unendlich in die Weite zog. Pro Mahlzeit mindestens eine Dreiviertelstunde. Das Baby ächzte, weinte, schlang seine Zunge um die Brustwarze und saugte immer am Ende seiner Kräfte befindlich wenige Tropfen. Weinte frustriert. Liess los. Dockte an.
Und da ist sie. Diese brutale, und damit meine ich exakt, was dieses Wort meint. Diese brutale Nähe.
Dieses «Du bist doch eigentlich aus mir draussen, doch dieser Stillakt mit dir fühlt sich an, als wärst du noch immer dermassen mit meinem Körper verschmolzen, dass unser ungleiches Zusammenspiel und die damit verbundene Nähe mich in den Wahnsinn treibt.»
Wenn die Stillbeziehung nicht harmonisch verläuft, ist die Nähe mit einem Stillbaby zuweilen unerträglich.
Denn dann wird aus Stillen das, was es eigentlich ist: Die Nahrungszufuhr für dein Kind.
Und du bist Produzent, Logistiker und Transportdienstleister gleichzeitig.
Schaffst du es nicht, dies drei Jobs adäquat zu managen und dem Baby genügend Muttermilch zu verabreichen, hat es Hunger, schreit, nimmt ab. Und da ist niemand. Wirklich niemand, der dir einen dieser drei Akte abnehmen kann. Du kannst dein Baby niemand anderem an die Brust drücken. Höchstens der Flasche. Aber das willst du ja nicht, denn du glaubst:
Weisses Gold aus Hängebrüsten ist besser als Legierungslösung aus der Flasche.
Also stillst du. Drehst das Baby einmal um jede Brust in der Hoffnung, irgend ein Winkel möge der richtige sein (was erklärt, warum die Brustwarze rund sein muss).
Du sitzt, du stehst, du liegst, du hängst diese Brüste im Doggystyle dem Baby ins Gesicht, damit es trinken kann. Verrenkst gleichzeitig deine Handgelenke so, dass du den Teil der Brust, der dem Baby auf der Nase liegt, wegdrückst, gleichzeitig aktivierst du mit den restlichen Fingern, die sich nochmals um mehrere Grade verrenken, den Milchfluss. Das machst du so lange, bis es gesättigt ist. Gross und stark, allergiefrei und intelligent wird.
Ich hatte auch ein anderes Stillkind. Eines, das ratzfatz in fünfzehn Minuten ass, was sein Geschwisterkind in Dreiviertelstunde nicht in den Magen gekriegt hat. Mit diesem Kind konnte ich sogar stillend kochen – und fühlte mich dabei wie ein Siebesiech.
Dann gab es noch ein Kind, das selbst nach unzähligen Osteopathiestunden, Versuchen mit Plastikbrustwarzen, nach Abpumpen und sonstigen Spielereien so gut wie gar nichts in den Magen kriegte. Trotzdem immer selig lächelte. Dann auch die Flasche kaum betrinken konnte, wo ich gottenfroh war, als es dann endlich feste Nahrung zu sich nehmen konnte und all diese elende Flüssignahrung Geschichte war.
Jetzt habe ich nochmals ein Stillkind. Eines, das so häbchläb genug kriegt. Eines, das einen Scheiss gibt auf Still-Rhythmus. So ein Bedarftrinker.
Total unkalkulierbar. Irgendwie auch noch schlechte Kombi mit dem Magen-Darm-Trakt. Schreit bei Gelegenheit ganz fürchterlich, weil sich angesäuerte Milch mit der neuen Milch nicht so gut verträgt (wer mag schon Angesäuertes).
Ist die Umgebung zu laut oder gerade sonstwie die falsche, trinkt es nicht. Schreit einfach die Brustwarze an. In der Öffentlichkeit trotz viermaligem Gebären mit allen Körperausscheidungen und dem Verabschieden des Schamgefühls nicht gerade angenehm. Abgesehen von der Wichtigkeit, dass das Kind überhaupt was isst – schliesslich ist es auf der Wachstumskurve im Sinkflug.
Also stille ich vornehmlich zuhause. Kein Stil(l)bild mit Hipster-Kaffee. Überhaupt lässt die Szenerie von der Darstellung zu wünschen übrig.
Einmal mehr kommen die verrenkten Handgelenke zum Einsatz. Inzwischen kann ich sogar noch den Ellenbogen so platzieren, dass ich meinen Kopf nicht dreissig Minuten lang nur mit purer Muskelkraft in der Luft halten muss. Dank meiner Stillerfahrung rotiere ich auch dieses Kind einmal um die Brustwarze herum. Spiele gleichzeitig auf der gesamten Klaviatur der Milchkanäle. Stille halbnackt liegend, weil das Baby in allen anderen Positionen (und glaubt mir, ich war kreativ) sonst nur weint statt trinkt. Habe drei Kinder, die währenddessen auf mich draufsitzen und Rössli spielen wollen. Erlebe dadurch Emotionen, deren Intensität wohl niemand nachvollziehen kann, der das nicht erlebt hat.
Dreissig Zentimeter von meinen Augen zu den Augen des Bebes. Wo einem überall visualisiert wird, wie schön diese Nähe zum Kind ist. Da ist in solchen Momenten jeder einzelne Zentimeter einer zu nahe.
Ich will das Kind weg haben. Weg von mir. Will die Verantwortung weggeben. Sofort. Soll sich jemand anderer darum kümmern, dass das Baby endlich trinkt. Satt ist und glücklich. Aber nicht ich.
Ich sage mir, Stillen ist was Wunderbares. Glaube das auch. Denn es ist etwas so Einmaliges wie eine Geburt. Doch die wird einem wenigstens nicht schmerzfrei verkauft.
Ich sage mir, Stillen, ist was Einmaliges. Weiss das auch.
Ich sage mir, Stillen sollte man geniessen. Tue ich auch. In einem Paralleluniversum. Dort, wo ich mich hinfliehe, wenn die Realität gerade von einem Systemfehler in der Milchübermittlung dominiert wird.
Ich will kein Mitleid. Auch keine Beratung. Wir stillen okay, das Baby und ich.
Aber ich will, dass Mütter wissen, was ich beim ersten Kind gerne gewusst hätte:
Dass Stillen ein Full-Time-Job sein kann.
Dass Stillen manchmal nur Zuhause möglich ist.
Dass Stillen einem alles abverlangen kann.
Dass Stillen so verroht daher kommen kann, wie die Geburt selber. Dass Schmerzen Tatsache sein können und die Flasche (die mit der Milch, nicht die mit Promille, wobei….) eine durchaus adäquate Lösung ist.
Dass übrigens auch Flaschen im Abstand von rund dreissig Zentimeter Augen-Luftlinie verabreicht werden können. Und dass die Beeinflussbarkeit von Nähe-Distanz, die mit einer Flasche möglich wird, zuweilen wichtiger ist, als die paar Milliliter Muttermilch, die ein Baby mit grösster Abmühung von der Brust trinkt oder die Mama verzweifelt abpumpt.
Und die Flaschenlösung massiv zu einem entspannten Mamadasein beitragen kann.
Dass Verzweiflung okay ist und dass Mütter, die stillen, unglaubliche Arbeit leisten.
Dass sie sich auf die Schulter klopfen dürfen. Nicht, weil sie Milch produzieren und verabreichen. Sondern weil sie diese Nähe mit ihrem Kind aushalten.
Über Stunden, über Tage, Wochen und Monate. Weil sie eine Beziehung leben in einer Innigkeit und Tiefe, wie sie nirgendwo sonst gelebt wird. Weil sie dem Baby in dieser Zeit nicht nur Milch, sondern womöglich ihr ganzes vorheriges Leben geben.
Weil es in dieser Stillzeit zuweilen nur noch eines gibt: Und das ist Stillstand.
Ich werde es vermissen, das Stillen. Das kleine Baby, welches dazu gehört. Ich überlege mir sogar, Milch in Perlenform zu konservieren. Weil ich diesen wundersamen Job als Milchproduzentin und -lieferantin fassbar machen und festhalten möchte. Für mich selbst. Weil diese Milch tatsächlich flüssiges Gold ist. Denn die Zeit, die ich mir nehme, um meinem Kind die offiziell bestmögliche Nahrung zuzuführen. Sie kostet mich häufig mehr als mir lieb ist. Was sie so wertvoll macht.
Inzwischen sind Monate vergangen. Mein Bedarfsstiller nimmt genau eine externe Mahlzeit zu sich. Ich stille so lange wie noch nie. Es funktioniert. Und abgesehen davon, dass das Baby nach wie vor symbiotisch mit mir verbunden ist und meine Freiheit eingeschränkt (Abpumpen ist nichts für mich, keine Lust, keine Zeit, also auch hier: Kein Mitleid), ist alles, was aktuell unkompliziert ist, so zu belassen.
Und wenn Stillen funktioniert, ist es schaurig praktisch.
Und auch schaurig schön. Die Stillmahlzeiten bödelen mich wie kaum etwas sonst.
Denn nach wie vor gilt: Bin ich nervös, überträgt sich das voll auf das Baby. Also entspanne ich mich gezwungenermassen mehrmals am Tag. Geniesse die Nähe mit dem Kind, das schon kaum mehr Baby ist.
Nur, ob ich das flüssige Gold auch noch konservieren möchte, weiss ich noch nicht.
Bild: Hollie Santos
Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.
Danke für den Text – genau im richtigen Moment!!! Stille seit vier Monaten Zwillinge und bin kurz vorm Durchdrehen! Was für ein emotionales Desaster. Hatte bereits ein Kind – zum Glück – das gibt mir etwas Erfahrung und war auch noch irgendwie „erfüllend“ Jetzt ist es nur noch Knochenarbeit. All diese Bedürfnisse auf einem Haufen! 😂
Hallo Nadine
Dieser Text hat mir soo gut getan. Selbst Mama von 3 Kindern die ich mit Ach und Krach verschieden lang gestillt hatte, enormen Druck verspürt habe und jeweils so erleichtert und gleichzeitig so traurig war wenn die Zeit vorbei war.
Du hast all die Gefühle so gut getroffen und so verpackt dass ich immer wieder ein AHA Erlebnis hatte und im Rückblick auch schmunzeln konnte. Ich wünschte ich hätte bei meiner ersten Stillzeit einen solchen Text gelesen!! Das hätte mich entlastet. DANKE für deine Arbeit und Offenheit!