Dieser Text ist auch in unserem Buch drin.
Urplötzlich hatte es das Kind nach mehreren Tagen zieren und zögern sehr eilig, die Gebärmutter zu verlassen. So eilig, dass die Hebamme sich nicht mal mehr den zweiten Handschuh überstreifen konnte, um das Kind gemäss Spitalvorschriften in Empfang zu nehmen.
Nach den unbezahlbaren «Es lebt und ist zauberhaft»-Stunden gleich darauf und dem erfolgreichen, ersten Wasserlassen (yay, immer ein Grossereignis hier auf der Geburtenabteilung) kommt er unweigerlich: der Krankenhaus-Groove.
Da hat man eben noch eines der krassesten Erlebnisse überhaupt hinter sich, und schon liegt man als Patient verkleidet in diesem Krankenhausbett mit den unzähligen Liegepositionen, so dass einem bereits beim Einstellen schlecht wird.
Hinter mir liegen zwei Nächte, sechs Stunden Schlaf. Wenn überhaupt. Das ist im Vergleich zu den Nächten davor tragischerweise fast im Durchschnitt. Und reicht gerade mal so fürs Überleben des Alltags.
Umso knapper sind die Ressourcen, wenn dieser Alltag gebärend und mit ausufernden Hormonschüben verbracht wird.
Wer jetzt denkt, immerhin sei man ja im Krankenhausbett in bester Position um dem Zombie-Zustand Abhilfe zu schaffen und könne sich in dieser Phase des Wochenbetts etwas erholen, hat den Punkt von «Ich befinde mich im Krankenhaus» und «Es gibt ein neues Baby zu begutachten/zu versorgen» nicht ganz erfasst.
Eine unschlagbare Kombi. Steht der Geburt in keiner Weise nach.
Ein Spitalaufenthalt bringt drei tägliche Schichtwechsel des Pflegepersonals mit sich, die nicht nur personalintern, sondern immer auch gemeinsam mit mir stattfinden. Einer davon in der gängigen Wachphase um 15.00 Uhr. Die andern beiden irgendwann dann, wenn man – vor allem ohne Kleinkinder – schlafen würde.
Nach dem morgendlichen Schichtwechsel muss die Neumutter auch gar nicht mehr versuchen, schlafen zu wollen. Denn dann rollt die Frühstücksmaschinerie an. Erst Kaffee und Fencheltee. Anschliessend das Frühstücksbuffet auf Tableau serviert.
Hormonen sei dank fühle ich mich bereits beim Aufstehen durchgeschwitzt wie nach einer Radtour bei 30° und muss erstmal duschen, um nicht bei erstbester Gelegenheit irgendwo festzukleben.
Noch immer im Geburtsfilm begriffen und gerade mit dem Frühstück fertig, kommt die Administration. «Grüezi, herzlichen Glückwunsch», damit beginnen hier alle Gespräche. Ich muss unterschreiben, bei klarem Verstand Fragen wie die nach der Krankenkasse meines neugeborenen Kindes beantworten.
Es folgt die Fachfrau für die Uteruskontrolle, die eine Trennwand zur Wahrung der Privatsphäre (Privatsphäre auf einer Geburtenstation, ein Widerspruch in sich) vors Bett schiebt und irgendwo meine ausgeleierte Gebärmutter ertastet, die wie ein schlaffer, aber vorzugsweise harter Luftballon in meinem Bauch rumwabbert.
Die Zeit rast und während Geschirr abgeräumt und neues aufgetragen wird, fegt das Putzpersonal rund um mein Bett, das sich nun anfühlt wie eine Insel im aufgewühlten Meer. Durch das ich wate, um zur Toilette zu kommen und zurück. Und schwupps, steht das Zmittag auf dem Tisch.
Oh, ich vergass. Ich habe ja noch das Baby!
Und ich stille. Versuche es zumindest. Oder das Baby versucht es. Spätestens nach einer Stillmahlzeit ist Zeit für die nächste Dusche.
«Grüezi und Gratulation. Ich informiere Sie über die diversen Stillpositionen.»
«Grüezi», meine Gynäkologin, «wie geht es Ihnen?»
«Guten Tag, ich nehme Ihr Baby rasch mit für den Hörcheck», nächster Termin.
«Guten Tag, wann könnten wir das Foto für die Baby-Gallerie machen?»
«Hallo, ich bin die Stillberaterin.»
«Hier noch der Termin mit dem Kinderarzt auf der Station.»
Wann und wie ich beim ersten Kind derart viel zusätzlichen Privat-Besuch im Spital empfangen konnte, kann ich mir heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen.
Die Nacht kommt und mit ihr eine neue Zimmernachbarin. Licht und Geflüster. An Schlaf ist nicht zu denken – zumindest nicht für Leute wie mich, die Jugendherbergen und Massenlager noch nie viel abgewinnen konnten. Als das Licht gegenüber ausgeht, geht das Geheul im Bettchen neben mir los.
Auch diese Nacht bringt wenig Schlaf.
Den Schichtwechsel kurz vor 7.00 Uhr erlebe ich in wachem Zustand. Bin ausnahmsweise froh, wird das Frühstück in Kürze serviert und schleppe mich einmal mehr zur Dusche, bevor der Wochenbettmarathon erneut los geht. Noch einen Tag und eine Nacht als offizielle Wöchnerin. Dann beginnt der Post-Partem-Stress zuhause. Mit ähnlichen Schlaf-Wach-Zyklen und ähnlich vielen Pflichten – aber leider ohne Zmorge, das ans Bett serviert wird.
Ich möchte anmerken, dass ich – trotz des Stresses, den all diese Personen und Termine verursachen – äusserst froh war um die kompetente und aufmerksame Betreuung während meines Spitalaufenthalts.
Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.