(K)eine artgerechte Wohnung – kein Platz für Mama

Artgerechte Haltung. Genügend Freiraum, Luft, Licht, Bewegungsfreiheit, würdevolle Existenz. Für Tierhalter alles ein Muss, in der Hühnerhaltung exakt definiert.

  • 6 Stk. pro m2  bei über 2 kg Lebendgewicht pro Legehenne
  • 7 Stk. pro m2  bei unter 2 kg Lebendgewicht pro Legehenne
  • Eine Sitzstange (pro Huhn ca. 14 cm Länge),
  • eine Futtermöglichkeit, eine Wassertränke

Fürs Nest braucht es Gummimatten, Spreu, Stroh, Sägemehl, richtiges Licht. Dann ein Sandbad und Kotbretter.

Nach ähnlichen Kriterien plant man Unterrichtsräume. Mit Bodenfläche von 2.5 m2 und Rauminhalt von 6.0 m3 pro Schülerin und Schüler.

Und was ist mit uns Müttern? Haben wir eine muttergerechte Wohnung?

Wir legen alles dran, unsere Kinder und unsere Haustiere artgerecht unterzubringen, aber wir selbst? Da ist kein Platz für Mama. Für eine ‘mamagerechte Wohnung’.

Ich hatte ewig keine.

Bevor ich Mutter wurde, war mein Lebendgewicht 48 kg und ich teilte eine Wohnung mit einem Mann. Da stimmte irgendwie noch alles. Mit Kind änderte sich einiges. Ich brachte im Krabbelalter des Sprösslings alles, was mir wertvoll war, in Sicherheit. Alles was runterfallen und mein Kind hätte beschädigen könnte, räumte ich aber weg. Gläser wurden zum Teil durch Plastikbecher ersetzt. Ein Gitter sicherte die Treppe, ein Herdschutz den Kochherd, Plastikecken die scharfen Kanten von Möbeln, und Schutzstecker die Steckdosen.

Doch obwohl ich alles kindergerecht gesichert hatte, stürzte ein Kind die Treppe runter.

Eins fiel über das Geländer, eines verbrannte sich, eines schaltete den Kochherd ein und brachte eine Thermoskanne, die auf dem Freifeld stand, zum Schmelzen. Eines knallte gegen einen Heizkörper und musste geheftet werden. Eins fiel in den Riesenkaktus mit den Megastacheln, weil es auf den Fliederbaum im Rosenbeet kletterte. Und eines zog den Steckerschutz raus und steckte eine Stricknadel rein und bekam einen Stromschlag ans Näschen.

Gefühlt hatte ich zehn Kinder, aber in Wirklichkeit sind es keine fünf gewesen.

Ich gebe zu, dass ich mich in dem kindergerechten Haushalt nie sonderlich wohl fühlte.

Es war einfach nicht mein Ding, und deshalb bin ich auch nicht Kindergärtnerin geworden.

Ach, wenn ich doch in all den Jahren ein Zimmer für mich gehabt hätte. Ein Zimmer, in dem ich sein konnte, mit all den Dingen, die ich mochte. Ein Zimmer, das ich abschliessen konnte, und wo keiner was zu suchen hatte. Ein familienfreies, ungesichertes Zimmer.

Aber ich traute mich nicht, so etwas zu sagen, geschweige denn zu wünschen. Für Mütter ist bei diesen Mietpreisen nichts definiert.

Eines Tages, als mir die Decke auf den Kopf gefallen war, beschlagnahmte ich den muffigen Kellerraum, in dem sonst Gäste auf einem Notbett schliefen und wo man früher die Kohle gelagert hatte.

Ich kaufte einen kleinen Schreibtisch und ein Holzregal, und riegelte abends die Türe ab, damit ich hier endlich in Ruhe schreiben, nachdenken und sein konnte. Ich versuchte mit mehr oder weniger Erfolg der Familie klarzumachen, dass ich hier unten nicht gestört werden wollte. Ich war ja ständig für sie da, sorgte für sie und passte auf, dass nichts passierte. Wenigstens am Abend wollte ich so ab neun Uhr meine Ruhe haben und ganz alleine diesen Schimmelgeruch geniessen. Ich Egoist.

Es hätte mir schon früher einfallen sollen. Bevor ich auf dem Zahnfleisch lief.

Nie war ich einer Freundin oder Kollegin begegnet, die zu mir gesagt hätte: «Guck, das ist mein Zimmer!» Das gehört sich in meinem Umfeld wohl einfach nicht, als Ehefrau und Mutter ein eigenes Zimmer zu haben.

Elsas Mann aber hatte sein Büro. Hier bestaunte er stundenlang seine Briefmarken, die nicht viel Wert hatten. Denn mit vier Kindern konnte er sich keine «British Guiana» leisten. Julias Mann hatte sein riesiges Zimmer mit der voll krassen Modelleisenbahn, die Bewunderer aus dem ganzen Ort anzog. Ivan hatte immer seinen Bastelraum für die Modellflugzeuge gehabt. Und Franz hatte sich eine Werkstatt eingerichtet. Hier werkelte er an alten Radios herum, die keiner haben wollte.

Irgendwie komisch. Da waren die Männer den ganzen Tag weg und dennoch hatte jeder ein Zimmer für sich.

Im Gegensatz zu meinen Freundinnen und mir, die wir daheim rund um die Uhr für alles sorgten und kaum Ruhe hatten. Ich fand das immer irgendwie ungerecht.

Eine einzige meiner Freundinnen hatte ein Nähzimmer. Aber Nähen, das lief früher auch unter Arbeit.

Okay, ein eigenes Zimmer – ein Zimmer mehr? Liegt oft finanziell nicht drin.

Wie wäre es aber, liebe Freundinnen, die ihr gerade mittendrin steht, wenn ihr es besser macht als ich? Und das halbe Bastelzimmer vom Mann eures Lebens für euch beansprucht? Er könnte als Gegenleistung dann die halbe Küche haben, oder die Hälfte der Wäsche erledigen.

Was wäre mit einer eigenen Zimmerecke, artgerecht, ohne Kinderkram? Nett eingerichtet und abgegrenzt mit irgendeiner Wand? Wo keiner stören darf, wenn man da hockt und einfach mal dringend eine halbe Stunde Ruhe braucht?

Und unbedingt ein Schild dran, auf dem dann steht:

«Keep out!»

 

Bild: Bench Accounting Unsplash

Teilen mit

2 Kommentare zu “(K)eine artgerechte Wohnung – kein Platz für Mama

  1. Oh, Du sprichst mir so aus dem Herzen…hier auch: Mann hat ein Arbeitszimmer, als Lehrer braucht man so etwas, auch wenn er es nicht wirklich nutzt, sondern am Esstisch arbeitet und sich über Störungen ärgert.
    Frau hat ihren Platz zu Gunsten der Kinder aufgegeben, denn die brauchen ja eigene Zimmer. Das sehe ich ja ein, aber mein kleines Ich schreit “Ich will auch einen Platz für mich haben”, einen Schreibtisch, der nicht gleichzeitug Maltisch, Wäschelagerplatz usw. ist.
    Ich fürchte, ich muss auch in den Keller – oder baue doch noch ein Gartenhaus in den Minigarten, das habe ich zumindest der Familie “angedroht”.
    Danke für den Artikel, ich dachte schon, ich bin nicht normal und eine furchtbare Egoistin.

  2. Weder mein Mann noch ich haben ein eigenes Zimmer/Bereich. Seine Arbeit/Homeoffice ist im Wohnzimmer, mein Klavier steht neben dem Esstisch, unser SZ hat 11 qm Zimmer, weil wir das 14 qm Zimmer unserem jugendlichen Nachwuchs gegeben haben.

    Es ist halt das beste was wir aus der Situation machen können. Wird sich erst ändern, wenn Nachwuchs irgendwann ausgezogen ist – sofern was bezahlbares gefunden wurde… Alltag im Speckgürtel von einer der teuersten Städte in D, selbst mit relativ gutem Einkommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert