Sie stürzt!
Nachdem sie mutig (meine Sicht) beziehungsweise waghalsig (Sicht Mama) mit ihrem Like-a-Bike einen kleinen Hang heruntergefahren ist. Ich schaue sie an, lächle ihr voller Zuversicht zu und will ihr damit sagen: Super gemacht, Kleine. Ich bin mächtig stolz auf dich!
Der Augenblick, er dauert vielleicht drei Sekunden. Und wird dann mit gefühlten 150 Dezibel abrupt beendet:
«Aua aua, Maaaaammmiiii….aua aua…»
Ich renne zu ihr hin und will sie in die Arme nehmen. Es ist kein schlimmer Unfall, das ist mir klar. Doch ich will ihr als Vater Trost schenken. «Nei, Mamiiii muess cho – Mami muess cho – Mami muess cho…», kreischt mich die Tochter unmissverständlich an. Ich stehe vor ihr wie bestellt und nicht abgeholt. Alle Versuche, sie zu beruhigen, scheitern. Erst als die Mama am Ort des Geschehens eintrifft, beruhigt sich die Situation wieder – und das ziemlich schnell. Mir gelang das nicht. Obwohl ich es beim besten Willen gewollt hätte.
Am Abend gibt es für die zwei grösseren Kinder das Fläschchen, dann geht’s zum Zähneputzen, bevor das Highlight beginnt: Die gute Nachtgeschichte. Wir sitzen als Familie im Kinderzimmer, es kann los gehen. «Äs isch ä mau ä grosse Bär gsi, wo ds Muuri a dr Aare gwohnt het…» starte ich meine spannende Geschichte. Sofort unterbrechen mich die beiden in Maximallautstärke: «Nei, Mami muess verzelle, nid Papi. Mami muess…. nid Papi!» «Ok», denke ich, «dann werdet ihr halt nie erfahren, wie der Bär den Honigtopf in Freiburg gestohlen und im Bärengraben in Bern versteckt hat.» Die Mama übernimmt elegant und ich darf die Geschichte mithören – immerhin das. Zwei kleine Anekdoten. Sinnbildlich für unzählige solcher Situationen.
Die Kinder suchen in vielen Momenten mehr die Mama als mich, den Papa.
Auch in Situationen, in denen ich glaube, als Vater genau die Stärke bieten zu können, die nötig ist, bin ich nicht als erstes gefragt. Klassiker: Angst in der Nacht.
Warum ist das so? Diese Frage stelle ich mir nicht ohne Selbstzweifel.
Mache ich etwas falsch? Liebe ich meine Kinder zu wenig? Müsste ich im Job reduzieren und mehr Zeit mit ihnen verbringen?
Dass ich nicht der Musterkatalogpapa bin, gebe ich zu. Aber wer ist das schon? Ja, ich habe nicht immer ganz die Ruhe und das nötige Feingefühl. Manchmal bin ich gedanklich abwesend und noch im Büro. Andererseits unternehme ich viel mit den Kindern. Ermutige sie in ihren Aktivitäten, sage ihnen jeden Tag, dass ich sie liebe, dass ich stolz auf sie bin und dass sie brutal cool sind. Wir bauen Schlösser zusammen, hüpfen auf dem Trampolin herum und jagen erfolgreich böse Drachen im Garten. Warum also kann ich in den Momenten, in denen es scheinbar darauf ankommt, nicht auch einmal die Poleposition einnehmen?
Erklärungen gibt es viele, die leuchten mir auch ein.
Es sei eine Phase bei Kleinkindern. Oder biologisch bedingt. Es sei reiner Zufall, ob die Mama oder der Papa an erster Stelle stehe. Rational kann ich es zuordnen, emotional lässt mich das nicht kalt. Ständig die Nummer zwei zu sein, macht mich zuweilen traurig. Und obwohl wir schon diverse Taktiken angewendet haben, im entscheidenden Moment heisst es stets: «Mamiiii!»
Es wird sich ändern – sagen diverse Fachartikel. Da komme eine Phase, als Abnabelung von der Mutter bezeichnet. Vielleicht darf ich ja dann mal Tröster sein. Vielleicht.
Bis es soweit ist, tröste ich mich mit dem Gedanken:
Selbst wenn ich immer hinter der Mama anstehen werde, von allen Väter auf dieser Erde werde ich für meine Kinder immer in der Pole Position sein.
Vier Kinder hat er. Einen 100% Job. Und eine Hausfrau zuhause, die ihm den Laden schmeisst. Doch das tönt gemütlicher als es ist. Denn Papa C. ist engagierter Vollzeit-Vater. Und wenn er mal in Ruhe denn Müll raustragen kann, läuft das bereits unter Freizeit.