Als das Kind da war, war der Job weg. Aus Langeweile begann die ehemalige Gouvernante Michaela Schönauer (33) zu häkeln. Was ihr damals als Zeitfüller diente, füllt heute in der Tat ihre Zeit. Denn inzwischen floriert Michaelas Häkelhobby. Wie aus der Gouvernante eine Mompreneur wurde.
«Bereits als Kind sagte ich immer: «Ich will mal ins Palace.» Als ich schliesslich – gerade 21 Jahre alt – mit einem Saisonvertrag als Gouvernante in der Tasche die Schwelle des Luxushotels übertrat, hat sich dieser Kindheitstraum erfüllt.
Das Palace ist ein Luxushotel in Gstaad, dem Heimatort meiner Eltern. Als Gouvernante war ich für das gesamte Housekeeping des Hotels mitverantwortlich und erhielt nach der ersten Saison gleich eine Festanstellung. Ich liebte meinen Job. Umgeben sein von Menschen, der Trubel. Nur die Zwischensaison war schlimm. Wenn nach den Feiertagen und den Skiferien das Hotel im März schloss, alles still wurde.
Das war so ein beklemmendes Gefühl. Man ist fast etwas einsam.
Drei Jahre später wechselte ich vom Palace ins Ermitage, und arbeitete neu als Gouvernante in der ersten Position – sprich, ich hatte die Hauptverantwortung für alles. Die Zeit im Ermitage war zugleich absolut spannend, anstrengend und aufreibend. Es ist fast nicht zu beschreiben. Ich habe alles gegeben. Ich war 23 Jahre alt, motiviert und in einer Kaderposition. Besser konnte es nicht kommen.
Nicht nur beruflich lief es blendend. Ich habe mich im Ermitage auch in meinen zukünftigen Mann verguckt, der ebenfalls in der Gastronomie arbeitete. Einen Monat nach meinem Stellenantritt kamen wir zusammen. Zwei Jahre später wurde ich zwar gewünscht schwanger. Aber der Zeitpunkt war gerade etwas ungünstig, da ich im Job gerade eine äusserst intensive Zeit hatte.
Um die Weihnachtszeit herum, ich war im fünften Monat, hatte ich plötzlich ständig einen harten Bauch. Meine Ärztin wollte mich 50 Prozent krankschreiben, doch das kam für mich nicht in Frage. Die Weihnachtszeit ist die wichtigste Zeit für ein Hotel in der Skiregion, ich wollte die Leute nicht im Stich lassen. Da hat die Ärztin mir den Kopf gewaschen und klargemacht, dass es jetzt nicht mehr nur um mich gehe. Mit reduziertem Pensum habe ich dann aber bis zum letzten Tag arbeiten können.
Die Saison war fertig. Das Hotel schloss seine Türen. Einen Monat später kam unser Sohn zur Welt.
Privat hat mich das unheimlich glücklich gemacht. Ich wusste immer, wenn ich mal ein Kind habe, will ich auch für das Kind da sein.
Beruflich hat es mich total zurückgeworfen. Es liegt auf der Hand, dass ich in der Position, die ich inne hatte, nach dem Mutterschaftsurlaub nicht wieder niedrigprozentig einsteigen konnte. Ich hätte mir gut vorstellen können beispielsweise die Betreuung der Lehrlinge während einem Tag in der Woche zu übernehmen. Das war meine Idealvorstellung. Doch in einem solchen Metier ist alles so klar kalkuliert, das Hotel konnte und wollte sich eine derartige Position nicht leisten. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, weiterhin im Hotel zu arbeiten und am Kiosk des Solbads Eintritte zu verkaufen. Aber nachdem ich zuvor Chefin von vielen Mitarbeitenden des Hotels gewesen war, wollte ich nicht plötzlich unten am Kiosk sitzen.
Als sich herausstellte, dass unser Sohn eine verknöcherte Schädelnaht hatte und operiert werden müsste, stand definitiv fest, dass ich erstmal für meinen Sohn da sein würde.
Mein Mann hingegen arbeitete viel und unregelmässig. Das war nicht immer einfach, doch ich hatte im Dorf Anschluss, tolle Nachbarn, einen Garten und immer was zu tun. Ich habe es genossen, Kaffee zu trinken und Kreuzworträtsel zu lösen. Etwas, wofür ich mir heute nicht mehr Zeit nehmen würde.
Als unser Sohn 1,5 Jahre alt war, nahm mein Mann eine neue Stelle an und wir zogen nach Wynigen ins Emmental. Es war Herbst.
Es war grau und gruusig. Und so war dann auch mein Gemütszustand.
Wenn ich draussen im Nebel spazieren ging, war niemand sonst unterwegs. Schon nur deswegen hatte ich das Gefühl, ganz alleine zu sein. Ausserdem startete mein Mann in seinem neuen Job voll durch. Nach seiner Morgenschicht kam er in seiner Mittagsstunde von 15.00 Uhr bis 16.30 Uhr nach Hause. Abends dann jeweils gegen Mitternacht wieder. An den Wochenenden, wenn sie Hochzeiten und Bankette hatten, war er erst am frühen Morgen zuhause oder übernachtete grad im Hotel. Ein Jahr lang ging es so. Und rückblickend würde ich es bezeichnen als ein Jahr, in dem ich jeweils darauf gewartet habe, dass mein Mann heimkommt. Mein Sohn hat häufig nur geschlafen und ich wusste nicht, was mit mir anfangen. Die Decke fiel mir auf den Kopf.
So kam ich zum Häkeln. Als eine Art Beschäftigungstherapie.
Ich hatte noch Wolle von meiner Grossmutter und habe diese zu quietschbunten Schmetterlingen für ein Mobile verarbeitet. Zudem irgendwelche ‚Plätzchen‘ gehäkelt, kleine Herzen – aus der heutigen Sicht gar nichts Schönes.
Irgendwann war die Wolle aufgebraucht und ich musste neue kaufen. Dank einem Zeitungsinserat erhielt ich massenhaft Wolle. Damit häkelte ich Handtaschen. Flaschenüberzüge. Herzchen zum Aufhängen, sonstige Dekoschischi. Einfach, was ich gerade im Internet gesehen habe. All das habe ich dann in Kisten gepackt und weggestellt. Langfristig war das natürlich nicht so befriedigend.
Daher beschloss ich, Dinge zu häkeln, die ich auch verkaufen konnte. Als ich online eine Anleitung für Deko-Kürbisse fand, sass ich jeden Abend vor dem Fernsehen und häkelte Kürbisse. Da war ich schwanger mit unserer Tochter, die bald darauf zur Welt kam. All das beflügelte mich – ich konnte problemlos bis zwei Uhr morgens häkeln, so dass ich meistens noch wach war, wenn mein Mann von einer Schicht nach Hause kam. Es war um Halloween und so habe ich die Kürbisse dann über ansalia.ch, eine Schweizer Verkaufsplattform für Kreative, angeboten. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass mir wirklich jemand etwas abkauft. Die Freude war umso grösser, dass ich ein paar Kürbisse losgeworden bin. Rückblickend ein Wunder. Schon nur die Fotos, die ich online stellte, waren grottenschlecht im Vergleich zu heute. In meiner Freizeit tingelte ich dann zusätzlich über die Koffermärkte – das war gar nicht meine Welt.
Als ich Amigurumi kennenlernte, wurde alles anders.
Amigurumi ist der Fachbegriff für die japanische Häkelkunst von Figuren, die man inzwischen überall auf Facebook antrifft. Erst häkelte ich einen Hasen, dann einen Hund, schliesslich noch eine typische Amigurumi-Figur, eine Lalylala. Es war eine Herausforderung, solche Figuren zu häkeln, ständig habe ich mich verzählt, weil ich noch nicht so geübt war. Ich hab Stunden damit verbracht, obwohl sich privat nicht viel verändert hatte und mein Mann immer noch viel weg war.
Ich habe begonnen, alles über Facebook zu posten. Einfach posten, posten, posten. Meine Seite hatte immer mehr Likes und die Leute bestellten.
Mein Traum war nicht, wer weiss ich wie viele Likes zu haben. Sondern dass jemand zu einem geposteten Bild schreibt: Genau das will ich!
So richtig durchgestartet bin ich mit einem Wolkenmobile, das eine Bekannte für ein Kleidershooting ihres Shops bestellt hatte. Das schlug total ein und ich beschloss, mich nur noch auf Tiere und Mobile zu fokussieren.
In der Zeit kam ich auch an meine Grenzen. Mein Mann war durch die Kombi Job und Familie körperlich ausgelaugt. Mein Sohn fand es zudem gar nicht cool, eine kleine Schwester zu haben und benahm sich entsprechend. Weil mein Mann kaum Zeit mit den Kindern verbringen konnte, lag es an mir, jeweils auf den Tisch zu hauen. Das alles hat mich sehr gefordert.
Mittlerweile hat sich einiges verändert. Mein Mann arbeitet im Büro und kann mich durch seine regelmässigen Arbeitszeiten abends und an den Wochenenden total freisetzen. Sobald er zuhause ist, übernimmt er den Lead daheim, er kauft ein, kocht, versorgt die Kinder. Und ich häkel oder arbeite am Computer, schreibe Rechnungen, aktualisiere die Website, bearbeite Bestellungen. Inzwischen schreibe ich auch regelmässig Anleitungen für ein Häkelmagazin.
Mit zwei Kindern ‚von zuhause aus‘ zu arbeiten, ist manchmal schwierig. Gerade, weil ich zusätzlich zu meinem Label ein zweites Standbein aufgebaut habe. Ich betreibe einen Onlineshop für Material. Doch grundsätzlich will ich immer noch häkeln und ich will es selber machen. Es macht mir soviel Freude, Müttern zu ermöglichen, ein einzigartiges Mobile oder eine Spieluhr zu haben.
Am Anfang habe ich mich noch geniert, darüber zu sprechen. So à la «Ah schön, du häkelst, jöh…».
Und ich hätte das Häkeln klar als mein Hobby bezeichnet. Finanziell hatte sich das ja auch nicht gelohnt. Doch mit jedem Schritt, den ich machte, wurde ich professioneller. Eine eigene Website, einen Shop, gutes Material, professionelle AGBs, professionelle Bilder. Ich habe konstant mein Image professionalisiert. Dadurch hat sich auch in meinem Denken was verändert. Jetzt ist für mich wie klar: Das ist mein Job. Und meine Kinder wissen, wenn ich zuhause häkel, dann ist das für den ‚Laden im Computer‘. Ich arbeite. Daher ‚häkle‘ ich nicht mehr, sondern stelle zuhause Babyaccessoires her. Von der Gouvernante übrig geblieben ist das Bedürfnis, einen wirklich guten, exakten Job zu machen. Die Freude an der Zusammenarbeit mit meinen Kunden und dass ich zuhause nach wie vor zuständig bin fürs exakte, perfekte Bettmachen.
Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.