Das Auto fuhr in ihr Auto, als Melanie gerade unterwegs war, um ihr Baby abzuholen. Ein Unfall, der ihr Leben auf den Kopf stellte – und sie von einem Moment auf den anderen von ihrem fünf Monate alten Baby trennte. Auch das Leben nach dem Unfall hielt einige Hindernisse für die Mama bereit. Und noch heute kennt das Dorf Melanie als «die Mama im Rollstuhl mit Baby auf dem Schoss».
Es krachte. Die Airbags gingen auf. Stille.
Ich sass im zerquetschten Auto. Konnte mich nicht selbst befreien. «Stillen!», dachte ich, «ich muss meinen Sohn stillen.»
Gerade noch war ich unterwegs zu meiner Mutter, die auf meinen fünf Monate alten Sohn aufpasste, während ich von Zuhause aus arbeitete.
Das Auto kam mir auf der Schnellstrasse entgegen, als es plötzlich auf meine Spur wechselte. Ich schrie noch: «Weg von meiner Spur!». Der Zusammenprall. Ich war bei vollem Bewusstsein. Sass total unter Schock in meinem Auto und flüsterte immer wieder: «Gott hilf! Jesus hilf!»
Minuten vergingen. Dann kamen Menschen, die halfen. Endlich konnte ich telefonieren. Meine Mutter anrufen. Das Stillen war in dem Moment das Wichtigste. Wie schlimm meine Verletzungen waren, realisierte ich überhaupt nicht. Ich konnte zwar mein Bein nicht bewegen, aber Schmerzen hatte ich anfangs nicht. Als dann das Adrenalin nachliess, kam der Schmerz mit voller Wucht.
Plötzlich war ich weg.
Sie brachten mich mit dem Rega-Hubschrauber direkt ins Unispital. Dort haben sie mich an der Lunge und am Rücken operiert. Die Verletzungen waren sehr schwer. Die Ärzte konnten meinem Mann nicht versichern, dass ich überlebe.
Auf der Intensivstation kam ich wieder zu mir. Meine Lunge war kollabiert, ich hatte diverse Brüche, der fünfte Lendenwirbel war kaputt, deshalb mussten sie dort den Rücken versteifen. Die Kniescheibe war kaputt, am Becken war etwas abgesplittert. Und das Schlimmste: Das Sprunggelenk beim rechten Bein erlitt einen Trümmerbruch. Das war ein massiver Bruch.
Der Knochen war in kleine Teile zertrümmert, wie ein Mosaik.
Trotzdem ging es mir anfangs im Krankenhaus den Umständen entsprechend sehr gut. In den ersten zwei Tagen fühlte ich mich so geborgen. Ich war bereit zu sterben. Es war nicht gerade eine Nahtoderfahrung, denn ich war bei Bewusstsein. Aber es war, als hätte Gott mich in den Arm genommen.
Irgendwann kamen sie. Die Fragen. Der Moment, an dem ich Gott klagte: «Bist du hier? Hast du gewusst, dass das passiert?» Ich hatte das Gefühl, dass Gott mir sagte: «Ich habe es gewusst, ich war dabei und ich werde etwas Gutes daraus entstehen lassen. Es wird alles wieder gut.»
Das konnte ich in dem Moment wie akzeptieren. Ich nahm es als Versprechen und daran hielt ich mich fest. Einfach war das nicht.
Von einem Schlag auf den anderen von meinem Sohn getrennt zu sein, tat weh.
Ich hatte fürchterliches Heimweh nach ihm. Zuerst lag ich vier Wochen im Krankenhaus, danach vier Wochen in der Rehaklinik. An drei Tagen war es besonders schlimm. Ich weiss jetzt wie das ist, wenn man so sehr Heimweh hat, dass es richtig weh tut. Ich wollte einfach nur bei meinem Baby sein. Mein Mann kam mich zwar jeden Tag besuchen, zusammen mit Jorim. Doch wenn sie dann nach Hause gingen und ich wieder alleine im Krankenhaus war, konnte ich nur noch heulen. Das war sehr schmerzhaft.
Ich wusste, dass es ihm gut geht und er in den besten Händen ist. Mein Mann kümmerte sich rührend um Jorim. Für ihn war diese Zeit enorm streng. Er gab alles, damit es Jorim gut ging. Daneben musste er arbeiten, den Haushalt schmeissen, einkaufen, sich um den ganzen administrativen Teil kümmern, den ein solcher Unfall mit sich bringt. Er kam an seine Grenzen. Meine Eltern unterstützen ihn sehr. Sie liessen alles andere stehen und liegen und nahmen Jorim an den Abenden und Nachts bei sich auf. Sie genossen die Zeit mit ihm enorm. Das war für mich ein grosser Trost.
Als ich dann endlich nach Hause konnte, war ich einfach nur glücklich!
Doch es war eine kurze Freude. Nach einer Woche bekam ich an der Wunde am Bein einen Infekt. Das war echt der schwerste Moment. Als ich dachte, dass ich endlich nach Hause kann und danach erneut ins Krankenhaus musste. Wenn ich hätte davonrennen können – ich hätte es getan. Ich sass im Notfall und mir rannen die Tränen nur so runter. Nicht zu wissen wie lange ich gehen musste. Die Nachricht, dass ich erneut operiert werden würde. Zwei weitere Wochen im Krankenhaus sein werde.
Endlich zuhause angekommen warteten neue Herausforderungen auf mich. Ich durfte mein Bein nicht belasten. Null. Deshalb war ich ein halbes Jahr im Rollstuhl.
Wie es ist, als Mutter im Rollstuhl zu sein? Gar nicht toll.
Ich brauchte zu hundert Prozent jemanden, der mir hilft. Ich konnte ja nichts. Weder Jorim vom Boden aufheben, noch ihn herumtragen.
Für draussen hatte ich einen Elektrorollstuhl. Anfangs war mir das peinlich. Doch nach einer gewissen Zeit sah ich den Nutzen darin: Setzte mir Jorim auf den Schoss und fuhr jeden Morgen eine kleine Tour durchs Dorf. Dort kennt man mich immer noch als die Mutter mit dem Elektrorollstuhl und dem Baby auf dem Schoss.
Die Kontrolle über meinen Haushalt musste ich komplett abgeben. Das war eine Lebensschule. Loszulassen und Hilfe anzunehmen. Grad, wenn ich Dinge nicht mehr fand, oder wenn die Leute etwas halt einfach anders machten, als ich es gewohnt war oder nicht ganz genau so, wie ich es gerne hätte.
Teilweise sah ich abends nur noch Berge. Ich wusste was alles zu tun war, konnte aber selber nichts machen. Tage, an denen ich dachte: Es geht nicht mehr. Aber dann ging es eben doch. Jeder Tag für sich. Wenn ich zu sehr nach vorne schaute und Pläne schmieden wollte, wurde es schwierig. Ich musste einfach einen Tag nach dem anderen nehmen.
Es dauerte noch lange, bis alles wieder verheilt war. Im Bein und im Rücken habe ich ganz viele Drähte, Platten und Schrauben. Nach der Geburt unseres zweiten Sohnes wurde ich nochmals operiert. So war ich dann erneut an den Krücken. Mit zwei kleinen Kindern zuhause. Insgesamt wurde mein Bein sieben Mal operiert.
Erst kürzlich musste ich zur Kontrolle zum Arzt. Alles ist nun, nach fünf Jahren, gut zusammengewachsen und gut verheilt. Laut Chirurg ist dies ein Wunder. Und das glaube ich auch. Die Tatsache, dass mein Kopf beim Zusammenprall im Auto keinen Kratzer erlitt. Nichts. Ich bin mir sicher, dass ein Engel mit mir im Auto sass und meinen Kopf hielt.
Einige Beschwerden habe ich nach wie vor. Morgens, wenn ich aufstehe, habe ich Schmerzen im Bein. Und der operierte Rücken macht mir manchmal zu schaffen. Ich muss regelmässig ins Krafttraining. Doch damit kann ich gut leben.
Zuhause sein können, mit den inzwischen drei Kindern, das geniesse ich heute umso mehr. Ich glaube, darum bin ich so eine motivierte Mutter, und habe eine solche Freude an den Kindern. Obwohl ich zuweilen total überfordert bin.
Aber ich weiss: Es ist nicht selbstverständlich, dass es mich noch gibt und dass wir eine Familie sind.
Wenn ich an den Unfall denke, habe ich heute keine negativen Gefühle. Klar, ich denke auch nicht: «Super, dass ich das erleben durfte. Gerne wieder!» Aber schlussendlich hat mich der Unfall zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich bin innerlich stärker, mein Glaube ist tiefer und mein Lebensstil bewusster als zuvor.
[Dieser Text erschien erstmals bei Mamas Unplugged am 11. Juni 2018]
Evelyne Gutknecht lebt mit Mann und zwei kleinen Jungs und einem Mädchen oft an der Grenze zum Wahnsinn. Chaos liegt der Vollzeit-Mama und Teilzeit-Radiomoderatorin aber so gar nicht. Doch wie’s als Mama so ist: Augen zu und durch – wenn’s geht, dabei einfach nicht auf Legosteine treten.