Mein Kind ist anders: Hochallergisch

Dieser Text ist Teil einer Serie über Mütter, die mit ihren Kindern nicht dieselben Wege gehen können wie Mütter von Kindern ohne Besonderheiten oder Einschränkungen. Sandras Kind ist hochallergisch. Essen ist nicht nur Nahrungszufuhr, sondern kann lebensbedrohlich werden. Kontrolltermine im Spital gehören zu ihrem Leben, seit ihr Sohn auf der Welt ist. Lebensmittelallergie – tönt irgendwie harmlos. Ist es aber nicht.

Mein Kind hat starke, starke, lebensbedrohliche Nahrungsmittelallergien, Asthma und eine bislang unheilbare Erkrankung der Speiseröhre. Es braucht Medikamente. Jeden Tag.

Es war mein Baby mit wunden, rot leuchtenden, nässende Bäckchen. Mein Kleinkind mit Bronchitis und Atemnot, die Nächte im Spital. Der kleine Schuljunge, der immer eine Ausnahme bildet. Der an Ostern keine Schoggieili und an Weihnachten keine Zimtsterne oder Nüssli essen darf.

Ich sorge mich. Ich kümmere mich. Ich bin da. Immer.

Lese Inhaltsangaben, plane, kaufe ein, koche. Ich informiere mich und gebe Informationen weiter. Die Allergien sollten nicht zu viel Platz einnehmen. Tun sie aber dennoch. Denn wir leben nicht in einem abgeschotteten Mikrokosmos. Wir müssen immer aufpassen.

Wir sind eingeschränkt. Das merke ich im Alltag, das merke ich besonders an Feiertagen. Hotels fallen bei der Ferienplanung meistens weg. Restaurantbesuche sind kaum spontan, sondern werden vorgängig geplant. Ich kann Rezepte selten einfach nachkochen, lasse mich aber dennoch gerne von Zeitschriften und Blogs inspirieren.

Es gibt Tage, da überwiegt die Inspiration, an anderen widerum hadere ich mit der Undurchführbarkeit. Gleichwohl wecken die Einschränkungen meinen Pioniergeist immer wieder aufs Neue. Und ich freue mich und bin stolz darauf, wenn etwas Neues, Schmackhaftes entsteht.

So oft war ich in permanenter Alarmbereitschaft. Passte auf wie ein Luchs.

Ich darf behaupten, es ist besser geworden. Ich bin gelassener. Entspannter. Wir können mit der Situation gut umgehen.

Dennoch. Phasenweise immer wieder Ausschlag. Immer wieder Schwellungen der Lippen, der Mundschleimhäute. Atemnot. Ich bin da. Kümmere mich. Zeitweise fühle ich mich hilflos, verzweifelt, traurig. Wütend! Denn ich kann es nicht verhindern. Aber ich gebe nicht auf. Halte aus. Nicht nur um meinetwillen. Für ihn. Bin stolz, wie er damit umgeht. Doch die vielen Entzündungsreaktionen seines Körpers belasten auch seine Psyche. Wie sehr, wird oft erst in symptomfreien Phasen klar. Dann ist mehr Energie in diesem jungen Menschen, häufiger ein unbeschwertes Lachen in seinem Gesicht.

«Ich möchte einfach ein normaler Junge sein!», sagt er. Trifft mich damit mitten in mein Mama-Herz.

Auch das gilt es auszuhalten. Mit aller Liebe. Er darf traurig sein. Wütend. Schlechte Tage gehören dazu. Ich will für ihn der Fels in der Brandung sein. Ihm unbeirrbar zeigen, dass es weitergeht. Dass es viel Gutes und Schönes gibt. Meiner zeitweiligen Überforderung gebe ich selten Raum. Wenn, dann nicht vor ihm. Er kann nichts dafür.

Ich bin stärker, als ich vermutet hätte. Auch wenn sich mein Herz manchmal zusammenzieht, ich mir wünschte, es wäre anders. Mir Tränen übers Gesicht laufen, weil ich schlichtweg überfordert bin. Mich manchmal verliere in allen möglichen Szenarien, mich fürchte, was noch alles auf uns zukommt. Die Zuversicht ist stärker. Die Liebe zu meinen Kindern und meinem Mann geben mir viel Kraft. Ich weiss, ich bin nicht allein. Mein Mann ist stets an meiner Seite. Und auch wenn es gar pathetisch klingt, so bin ich doch jeden Tag dankbar für das, was gut ist.

Aber auch das gehört dazu: Unzählige Untersuchungen, Blutentnahmen, Prick-Tests. Viel Zeit im Kinderspital, beim Kinderarzt, bei der Allergologin, beim Pneumologen, beim Gastroenterologen. Neue Erkenntnisse, gute Nachrichten, Hiobsbotschaften. Ein Schritt nach vorne, dann wieder ein Rückschlag.

Immer wieder Vollnarkose. Sechs Mal schon hat er eine Endoskopie durchgestanden. Dieser junge, schutzbedürftige Körper. Das Warten, Bangen, Hoffen. Und alles auf Anfang. Ich bin da. Immer.

Ich mache, hadere selten. Ich mache möglich, was möglich ist.

Ich fange Wut und Trauer ab, teile sie mit ihm, verstehe ihn. Halte aus.
Es geht nicht weg. Es ist (noch) nicht heilbar. Den Fokus auf die Möglichkeiten nicht zu verlieren, fällt manchmal schwer.

Nichtsdestotrotz. Es geht uns gut. Auch bei uns wird gelacht, gespielt, gezankt. Die Allergien sind zwar präsent, sie bestimmen unsere Gewohnheiten, unsere Normalität, aber sie sind nicht Gesprächsthema Nummer eins. Und wir dürfen hoffen, dass es besser wird mit den Allergien. Unser Sohn bekommt ein neues Medikament. Ganz egal, was kommt: Wir sind für ihn da. Immer.

Titelbild: Sina Bieri

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