Me-Time im Alltag

Meine «Me-Time» ist scheisse. Wortwörtlich. Sie findet nämlich oft nur hinter abgeschlossener WC-Türe statt. Da, wo ich am besten multitasken kann: Pissen und sinnieren im Gleichtakt. Yay.

Im Hintergrund leicht gedämpfte «MAAAMIIIIIIIIII»-Schreie. Meine Sensoren nach wie vor empfänglich für die Art von «MAAAMIIII», bei der ich weiss:

Jetzt geht’s um Leben und Tod.

Mein zweites «Me-Time-Setting» ist unter der Dusche. Wasser über meinen Kopf rauschen lassen und mich verlieren in meinen Gedanken. So tun als ob.
Und vor dem Einschlafen. Im Bett liegend, da gehören meine Gedanken nur mir alleine. Selbst wenn sich zeitgleich noch ein warmes, weiches Kinderbeinchen in meine Bauchgegend gräbt. Still daran erinnernd, dass ich auch diese Zeit teile.

Und ja. Das ist manchmal über Wochen das höchste an Gefühlen. Das grösste Mass an «Me-Time», das ich im Alltag erlebe.

Als unsere Kinder klein waren, musste mein Mann mehrere Abende in der Woche an Meetings teilnehmen und konnte mich somit in der Rush-Hour der Kinderbetreuung (müden Kindern Essen verabreichen und sie zu Bett bringen), nicht unterstützen. Wenn ich an diesen Abenden die Kinder dann endlich im Bett hatte, war ich zwar in der Theorie bei «Me-Time» angelangt, in der Praxis jedoch hatte das nichts mehr mit Relaxen zu tun.

Die Erholung war kein Gewinn, sondern lebensnotwendig.

Mittlerweile hat sich die Lage bei uns auf verschiedenen Ebenen entspannt.

«Me-Time» kann ich ab und an einplanen. Letzte Woche gab es ein Novum. Ich habe fünf von sieben Nächten auswärts geschlafen. In zwei verschiedenen Hotels. Zuerst zu Ausbildungszwecken und danach im Rahmen meines Jobs. Klingt toll und romantisch. War es auch. Besonders die Sauna in einem der Hotels. Hach.

Aber «Me-Time» als Mama wird nie gratis geliefert.

Und in welchem Universum werden Arbeit und Ausbildung eigentlich «Me-Time» genannt?

Schon um so etwas überhaupt aufzugleisen, braucht es Energie, die von einem Kraftwerk intravenös verabreicht werden sollte. Und obendrauf ganz ganz viele liebe Menschen, die sich innert kurzer Zeit die Fähigkeiten von Mary Poppins aneignen (DANKE!!!). Und wenn du dann wieder nach Hause kommst… ihr kennt es. Die Kinder umarmen dich und sagen, wie sehr sie dich vermisst hätten. Und wie streng Papa gewesen sei. Nur, um dich dann eine Stunde später wieder wegzuwünschen, weil du sie angeblich mit dem falschen Auge böse angeschaut hast. Und Papa sowieso viel netter ist… Danke. Für nichts.

Möchte ich jammern? Ja, vielleicht. Kann ich es ändern? Nein.

Denn es gibt Themen, die kann man nicht schönreden. Es ist schlicht nicht jeder Frau und Mutter möglich, Zeit für sich ganz alleine rauszunehmen und sich dabei tatsächlich noch zu erholen. Die Gründe dafür sind so verschieden wie die Frauen selbst. Fakt ist:

Manchmal hat man über Monate keine «Me-Time». Und muss damit klarkommen.

Der Anspruch an diese «Me-Time» kann zu all dem, was sonst noch in meiner Agenda eingetragen ist, ein zusätzliches To-Do werden, das mich mehr an- als entspannt. Denn «Me-Time», die mich so viel an Organisation kostet, dass ich – sobald sie startet – bereits wieder mit den Kräften am Ende bin, bringt meiner Erfahrung nach nix.

Natürlich finde ich diesen Zustand nicht toll. Ich zähle auch zu der Generation, die sich selber eingetrichtert hat, dass man in jedem Fall Anrecht auf dies und jenes hat. Unter anderem auf ein Leben, in dem Selbstbestimmtheit und Freiheit ein unanfechtbares Gut ist.

Dass man sich dabei stets selber verwirklichen kann. Und wenn nicht, dann macht man etwas falsch.

Nun, Kindern ist es eigentlich so ziemlich egal, was ich mir alles unter Freiheit vorstelle. Sie lehren mich radikal etwas anderes.

Zum Beispiel, dass es auch wunderbar sein kann, wenn man sich selbst mal zurücknimmt. Den Blick weg richtet von Selbstoptimierung und Selbstumkreisung. Auch wenn der grösste Reward dabei ein Lächeln ist. Im besten Fall. Bei meinen Pre-Teens gebe ich mich schon damit zufrieden, nicht peinlich zu sein.

Ich lerne, dass gerade in diesem Verzicht – in diesem sich selber manchmal gar nicht mehr richtig spüren und wahrnehmen können – auch ein tiefer Schatz verborgen liegt. Ich möchte hier nicht eine Not schönreden. Aber dennoch das Gold suchen in dem, was ich nicht ändern, sondern nur annehmen kann. Und dabei wirklich erlebe, dass Geben manchmal seliger ist als Nehmen. Oder zumindest ebenso selig.

Dass ich, wenn ich von mir weg schaue, Wunderbares in meinem Gegenüber entdecke. Und mich das tatsächlich auch erfüllt und stärkt. Dass es schön ist zu sehen, wie meine Kinder aufblühen. Wie sie sich entfalten, weil ich den Scheinwerfer von mir weg auf sie lenke. Für eine gewisse Zeit. Im Wissen, dass auch wieder eine andere Phase kommt, in der sie mich nicht mehr so fest brauchen. Wo es dann auch wieder vermehrt um mich und meine Bedürfnisse gehen wird. Ich spreche dabei nicht von Selbstverleumdung, sondern davon, mich selber für eine gewisse Zeit hinten anzustellen.

«Me-Time» ist nicht die einzige Art, Erfüllung zu finden.

Und doch brauche ich sie. Die kleinen Oasen im Alltag, wo ich mich als Frau, als Janine, spüren kann. Aber diese Momente ergeben sich zurzeit mehr im Alltäglichen. Und nicht primär in Wellness-Weekends.

Was mir die letzten zwölf Jahre dabei geholfen hat, ist Folgendes:

1.) Situation so annehmen

Die Erkenntnis, dass ich in dieser Lebensphase halt einfach nicht an erster Stelle stehe. «Me-Time» ist ein rares Luxusgut, das «nice to have» ist, auf das ich aber kein Anrecht habe. Bereits das Annehmen dieser Erkenntnis half mir dabei, nicht unzufrieden zu werden und auszuhalten.

2.) Grenzen spüren und kommunizieren

Meine Grenzen und Bedürfnisse kennen lernen und klar kommunizieren. Dazu gehörte, dass ich zuerst für mich ganz persönlich formulieren musste, was denn eigentlich meine Bedürfnisse wären. Erst da konnte ich auch meinem Mann gegenüber kommunizieren, welche Art der Unterstützung und Freiräume ich vermehrt bräuchte. Dass wir dabei miteinander im Gespräch geblieben sind und regelmässige Standortbestimmungen gemacht haben, hat sehr geholfen, auch wenn eine Lösung noch nicht in greifbarer und umsetzbarer Nähe war.

3.) Me-Time ‘in Griffnähe’ haben

«Me-Time» ist mit (kleinen) Kindern oft nicht planbar. Plötzlich ergibt sich ein Fenster, wo es von einem Moment auf den anderen ganz still wird im Haus und man realisiert: Hui, jetzt könnt ich ja grad mal kurz das Leben geniessen.Nur: Meine Überforderung war dabei oft, dass ich irgendwie gar nicht mehr wusste, was mir denn von 0 auf 100 guttun würde. Also habe ich mir in einem ruhigen Moment (haha) mal eine Liste von Dingen zusammengestellt, die ich aus dem Stehgreif machen kann und die ich MAG. Bei mir war das ein Heft für Handlettering. Einen Roman, den ich schon lange lesen wollte. Einen Stapel «National Geographics» griffbereit haben. Und einige Youtube Abos, bei denen ich mich mit Nonsense fülle und dabei herzhaft lachen kann. Diese Liste half mir, keine wertvollen Sekunden an «Me-Time» mit Überlegen zu verbringen und mich dann nicht aus Gewohnheit heraus den dreckigen Fenstern oder sonst was im Haushalt zu widmen.

4.) Hilfe annehmen

Ich habe vier Kinder. Da ich mir diese selber zugemutet habe, dachte ich, ich müsse es auch zu jeder Zeit alleine schaffen. Keine Schwäche zeigen. Beweisen, dass ich dem gewachsen bin. Wem ich das beweisen wollte, weiss ich nicht. Was ich jedoch gelernt habe, ist, dass es nicht Schwäche ist, wenn ich zugebe, dass ich Hilfe benötige. Sondern es ist Stärke, dass ich das zugeben kann. Hilfe kann in Form von helfenden Händen oder in Form von Beratung/Begleitung geschehen. Und beides ist ok. Und zwar auch dann, wenn man «nur» ein Kind hat.

Bild: Marisa Howenstine

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