Lebensbedrohlich. CF-Patient Markus gehört zur Hochrisikogruppe

Lockdown in extremis» – In dieser Serie erzählen drei Menschen, wie sie die Lockdown-Zeit erlebt haben. Was die drei gemeinsam haben: Sie sind anders als ‘normale Durchschnittseltern’ von Corona und den daraus resultierenden Massnahmen betroffen. Markus (39) ist CF-Patient – seine Lunge kann Viren kaum abwehren. Der Vater von zwei Mädchen (4) gehört zur Hochrisikogruppe und muss sich in die Selbstisolation begeben.

Ich habe bereits mehrmals bei Gott angeklopft. Aber da ist dieser Wunsch in meinem Herz, den ich auch bei ihm platziert habe:

Dass ich leben will.

Ich würde das Erwachsenenalter nie erreichen, hiess es bei meiner Geburt. In diesem Jahr feiere ich meinen Vierzigsten. Ich habe geheiratet und habe zwei Kinder (4). Etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte.

Weil ich aus gesundheitlichen Gründen nicht einer fixen Arbeit nachgehen kann, bin ich ein sehr präsenter Vater. Das habe ich mir auch auf die Fahne geschrieben: Meinen Kindern so viel Zeit wie möglich zu schenken.

Ich leide an cystischer Fibrose (CF), einer chronischen Lungenkrankheit. Drei Stunden täglich muss ich in Therapien investieren, um meine Lunge, die nicht in der Lage ist, Schleim auszustossen, einigermassen funktionsfähig zu halten. Ich habe chronische Brustschmerzen. Atmen ist etwas, was mir sehr bewusst ist – weil es nicht immer automatisch funktioniert. Ausserdem reicht ein hundsnormaler Grippevirus, um mich wegen einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung ins Spital zu bringen. Zweimal war ich im letzten Jahr stationär während zwei Wochen. Es gibt auch schlechte Zeiten, in denen ich nicht ins Spital muss, aber dann einfach zuhause drei Wochen lang praktisch nur herumliegen mag. Solche krankheitsbedingten Schübe kommen meist sehr abrupt. Ich kann nie sicher sagen, ob es mir übermorgen noch gut geht.

Gesund zu sein ist alles andere als selbstverständlich. Nur sind sich das die wenigsten wirklich bewusst. Ich leide seit Geburt an CF und weiss nicht, wie es sich anfühlt, gesund zu sein. Die unbeschwerten Familienzeiten währen der gesundheitlich guten Phasen schätze ich umso mehr und bin glücklich, wenn ich aktiv am Leben teilhaben kann.

Natürlich nerven mich die Kinder zuweilen und habe ich manchmal genug. Doch meine Situation zeigt mir, wie kostbar die Zeit mit den Kindern ist. Zudem reicht meine Energie nicht, um noch viel mehr nebenbei zu machen. Auch wenn ich voller Ideen und Tatendrang bin. Die Einschränkungen machen sich dadurch besonders unbarmherzig und teils auch schmerzlich bemerkbar.

Dass das Coronavirus eine Gefahr für mich sein könnte, habe ich lange Zeit nicht realisiert.

Anfangs dachte ich wie so viele, was die da in China machten, sei doch übertrieben. Dann kamen die ersten Meldungen aus Italien, dass bei der Krankheit die Lunge stark betroffen sei. Es folgten die Bestimmungen des Bundesrates und mit ihnen auch die Tatsache: Als CF-Patient zähle ich ab sofort zur Hochrisikogruppe.

Für mich hiess das, sollte ich Covid kriegen, würde ich nicht überleben.

Schon unter normalen Umständen hat meine Lunge kein funktionierendes Abwehrsystem. Wie sollte sie ein solch aggressives Virus in Schach halten können?

Das war natürlich aufwühlend. Nachdem wir bereits unsere langersehnte Südafrikareise im Februar absagen mussten, weil ich just einen Tag vor Abflug einen gesundheitlichen Einbruch hatte. Nach all den Spitalaufenthalten und einer starken Antibiotika-Therapie Anfang Jahr, nun die nächste Hürde, die sich vor uns aufbaute: Covid.

Gemeinsam mit meiner Frau habe ich viel darüber geredet, was das nun für mich und für uns als Familie bedeutet. Wie wir damit umgehen sollen. Ich hoffte darauf, dass man rasch neue Erkenntnisse gewinnt, wie sich das Virus bei CF-Patienten tatsächlich auswirkt. Doch bis dahin stand für uns fest, dass ich alles mir Mögliche tun würde, um mich damit nicht anzustecken.

So sind wir in diese Zeit gestartet.

In allen Gesprächen fragte mich meine Frau häufig: «Hast du Angst?» Und meine Antwort war immer: «Nein».

Nein, ich habe keine Angst, ich lebe seit vierzig Jahren in dieser Situation. Immer wieder kamen Bedrohungen auf mich zu, die mich mehrfach an den Rand meiner Existenz gebracht haben.

Der Gedanke an den eigenen Tod ist für mich nichts Neues.

Was ich viel schwieriger fand, waren all die kleinen Entscheidungen, mit denen wir plötzlich konfrontiert waren. Die Empfehlung war, dass Risikogruppen sich isolieren sollen. Was heisst das denn? Können unsere Kinder noch zur Tagesmutter, in den Schwimmkurs? Darf meine Frau noch Freundinnen treffen? Die einen Ärzte rieten mir, mich sofort in Selbstisolation zu begeben, andere waren pragmatischer. Nicht zu wissen, woran man sich orientieren kann und soll, fand ich sehr herausfordernd.

Mit den Kindern haben wir – wie wir das auch bei meiner Erkrankung machen – stets offen kommuniziert. Sie wissen, dass Papa jeden Morgen und Abend Therapie machen muss. Dass ich manchmal krank bin. Dass ich Tabletten einnehmen muss. Schon als Zweijährige konnten sie in den Ellenbogen husten, weil es für mich essenziell wichtig ist, mich nicht anzustecken. Jeder Schnupfen kann bei mir einen Spitalaufenthalt zur Folge haben, weil virale Infekte bakterielle Infekte in meiner Lunge begünstigen. Wenn wir nach Hause kommen, waschen wir immer konseqent die Hände. Wenn jemand anderer verschnupft ist, sagen wir den Termin ab.

Die aktuellen Umstände haben sehr viele Parallelen zu unserem Alltag. Eigentlich leben wir als Familie bereits den «Corona-Style».

Schlussendlich haben wir entschieden, dass ich für unbestimmte Zeit in das Ferienhaus meiner Eltern ins Graubünden fahre. Ich kenne niemanden mit CF, der sich in dieser Zeit nicht selber isoliert hat.

Dieser «Abschied bis auf weiteres» war nicht so einfach. Gepaart mit der Unsicherheit: Wie lange bleibe ich da? Das Getrenntsein von meiner Familie machte mich traurig. Gesundheitlich ging es mir gut, daher war eigentlich alles gut. Wir haben sehr viel geschrieben, gefacetimet und einander Päckli geschickt. Einmal packte ich eine Bialetti aus, in einem weiteren Päckli haben sie mir Globus Kaffi nachgeschickt. Zudem war die Solidarität von meinem Bekanntenkreis riesig. Anfang der Coronazeit konnten wir all die SMS kaum beantworten mit Fragen, wie es mir und uns als Familie geht. Es hat mich extrem gefreut, dass so viele an mich gedacht haben.

Ich habe mir vorgenommen, die Zeit der Selbstisolation so gut wie möglich zu nutzen. Habe versucht, Woche für Woche zu nehmen und mir kein Worst-Case-Szenario auszumalen. Ich war für meine Verhältnisse auch sehr aktiv, habe viele kleinere Wanderungen gemacht. Und mich rund um das Ferienhaus als Landschaftspfleger betätigt. Zu Beginn lag dort noch eine dicke Schneedecke. In der Zeit der Selbstisolation kam der Frühling auch in den Bergen an. Ich habe Tannzapfen zusammen gerecht, Äste zusammen gelesen, Maulwurfshügel vermacht.

Ich wurde ein richtiges «Bergbuurli», nannte mich insgeheim gar einen Corona-Eremiten.

Wirklich bewusst ist mir die neue Situation erst geworden, als ich spazieren ging und husten musste. Zwei Personen weiter vorne auf einem Bänkli haben mich gaaanz lange angeschaut. Und dann echt ihren Pulli über die Nase gezogen. «Nicht euer Ernst, oder?», dachte ich, fühlte mich leicht diskriminiert und habe gaaanz lange überlegt, ob ich denen jetzt erklären sollte, dass ich lungenkrank sei. Oder das einfach hinnehmen soll – ich würde an ihrer Stelle ja genau gleich handeln. Aber wenn man um mich so ein grossen Bogen macht – das ist für uns Betroffene nicht so einfach.

Irgendwann kamen dann die ersten Fallzahlen aus Europa von CF-Patienten, die sich mit Corona infiziert hatten. 40 Fälle und alle 40 haben überlebt.

Auch Menschen, die ein sehr eingeschränktes Atemvolumen oder gar eine Lungentransplantation hinter sich hatten.

Das war so erleichternd.

Für mich bedeuteten diese Statistiken, dass ich zurück nach Hause zu meinen Lieben gehen durfte.

Dass wir wieder als Familie zusammenleben können, ohne dass das Risiko zu gross wäre.

Wir würden weiterhin die Hygienemassnahmen umsetzen und unser Familienleben so normal und trotzdem so vernünftig wie möglich um die Corona-Massnahmen gestalten. Logisch will ich nicht sterben. Und ich tue alles, um das Risiko so gering wie möglich zu halten.

Doch die akute Bedrohung ist meiner bisherigen Herausforderung als CF-Patient gewichten: Zu lernen, dass man das Leben nicht im Griff hat, dass man gewisse Umstände nicht ändern kann, sie hinnimmt und das Beste daraus macht. Da sind wir als Familie ja relativ erprobt. Entweder habe ich Angst und Panik – oder ich mache alles, was ich kann und gebe alles andere, in meinem Fall, an Gott ab.

Markus Hänni (39) ist verheiratet mit Barbara, gemeinsam haben sie zwei Kinder (4). Über sein Leben mit CF hat er ein Buch geschrieben, ein weiteres Buch mit Barbara, warum zwei Menschen beschliessen, der Liebe mehr zu zutrauen als der Vernunft (eine Liebesgeschichte aus dem wahren Leben mit vielen Happyends). Weitere Infos auf www.markushaenni.com.

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