«Tschüü-hüüüs», sage ich und winke den drei Kindern inklusive Babysitter zum Abschied zu. In dem Moment, in dem das Tschüss über meine Lippen kommt, der Blitzgedanke: «Womöglich war das grad keine gute Idee.»
Tatsächlich. K3, mittlerweile etwas über ein Jahr alt, schaltet zeitgleich mit dem «Tschüss» in Panikmodus. Ruckartig dreht sich sein Kopf in meine Richtung. Seine Arme strecken sich mir entgegen, gefolgt von einem herzzerreissenden «Mamaaaa». Gar keine gute Idee.
Irgendwann mal habe ich gehört, einfach gehen ohne sich zu verabschieden sei schlecht für das Kind. Ja! Ja! Das glaube ich eben auch ganz fest. Aber manchmal wär Gehen ohne Verabschieden definitiv einfacher. Jedenfalls für mich.
K3 schluchzt.
Und es zahnt. Ganz fest. Eckzähne. Beschissene.
Seit die am Drücker sind, wird der zufriedene Charakter, für den K3 bekannt ist, von Wein-Episoden und Gehässigkeitsattacken überlagert. Das Kind wacht in der Nacht wiederholt auf. Auch unter Schmerzmittel. Tagsüber leuchten die Backen, als hätte die Stiefmutter von Schneewittchen persönlich sie poliert. Und eben, das Kind ist anhänglich.
Die Anhänglichkeit konzentriert sich ausschliesslich auf mich.
Obwohl ich ja auch nicht helfen kann. Egal, was ich tue – K3 ist unhappy. Vielleicht etwas weniger unhappy, als wenn ich gar nicht da wäre. Wie sich jetzt herausstellt: Wesentlich weniger unhappy mit als ohne mich.
Ich erbarme mich. Fünf Minuten habe ich noch. Halte das Kind. Versuche es in aller Eile in den Befindlichkeitsstand vor dem Tschüss zurück zu versetzen. Aber mit Eckzähnen im Zahnfleisch wird das schwierig.
Also stelle ich K3 in seinen Learningtower zurück, wo er mit den beiden Geschwistern und Babysitter gerade am Pizza belegen war. Zur Entrüstung seiner Geschwister kriegt er sogar ein Stück Salami in die Hand gedrückt. «Wäääähhh», der gänzlich unbegeisterte Kommentar. Bestechungsversuch gescheitert.
Die Zeit ist vorgeschritten.
Und zwingt mich, dem Kullertränenkind jeglichen weiteren Mamabedarf zu verweigern.
Noch auf dem Weg zum Auto höre ich K3 drinnen weinen und rufen. Mein Herz fühlt sich platt wie ein Omelett an.
«Der beruhigt sich schnell wieder», tröste ich mich. Starte den Motor, die Zeit ist mittlerweile schon sehr vorgerückt.
Wieder zurück zuhause ist alles friedlich. K3 schlummert. K1 und K2 sind brav wie Lämmchen. «Highfive», denke ich innerlich.
Die Desillusionierung folgt mit dem Babysitter. Der sieht gar nicht mehr gesund aus. Schlimmer, als ich nach einer durchzecht-durchzogenen Nacht mit kranken Kindern.
Wenn K3 nicht geschlafen habe, habe er geweint. Mittagessen habe er resolut verweigert. Erst, als K1 ihm das Fläschchen in den Mund drückte, trank er einige Schlucke. Um danach weiter zu krähen und verzweifelt vor der Haustüre zu stehen und «Mama» zu rufen.
Oh my. Mein Herz. Da ist das Omelett wieder.
K1 und K2 wirkten von K3’s stark zum Ausdruck gebrachter Überforderung, ohne Mama zu sein, leicht traumatisiert. Immerhin haben sie gezeigt, dass im Ernstfall bereits mit ihnen zu rechnen wäre und K3 sich gefälligst glücklich schätzen sollte, solch fürsorgliche Geschwister zu haben.
Ich entliess den armen Babysitter zwecks Erholung. Nahm K3 nach dessen Erwachen in die Arme, wo er sich einschmiegte wie früher als er noch ein richtiges Baby war und blieb, bis ich ihm aufgewärmte Reste Mittagessen servierte. Um drei Uhr nachmittags. K1 und K2 benahmen sich weiterhin vorbildlich brav und blieben dies bis zum Ende des Tages. Weswegen ich schwanke zwischen schlechtem Gewissen und dem Hochgefühl, einen Nachmittag lang Kinder zu haben, die meine Anwesenheit für einmal äusserst wertschätzen…

Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.