Als Vater im Familienleben ankommen

– Ein Prozess mit Parallelen zum Grand Prix Bern Lauf –

Bald ist es wieder so weit. Mein jährliches Sport-Highlight steht vor der Tür: der Grand Prix von Bern. Zusammen mit über 30‘000 anderen Läufern werde ich «die zehn schönsten Meilen der Welt» absolvieren. Die Vorbereitungen sind im vollen Gange. Beim heutigen Training ist mir dabei eine Parallele aufgefallen:

Das Vaterwerden gleicht dem GP-Lauf.

Vor dem Start: Entspannte Zuversicht

Bei der Anmeldung im Dezember für den GP verspürt man einen gewissen Stolz. Ich tue etwas Gutes. Verknüpft damit ist die Verpflichtung zum Training und gesunder Ernährung, man will ja nicht komplett abloosen. In Small-Talk Gesprächen kann man mitreden, sollte Sport ein Thema sein. Man hat ein Ziel vor Augen, geht trainieren, die Vorfreude steigt.

Am Abend vor dem Lauf ist man leicht nervös, weiss nicht genau, ob man jetzt noch etwas essen sollte. Genügend Schlaf ist wichtig. Am Tag selbst steht man auf mit dem fixen Gedanken an den Start. Man versucht Normalität zu versprühen, erledigt die Hausarbeiten, geht einkaufen. Am Nachmittag packt man seine Sachen und begibt sich an den Start. Die gesamte Stadt scheint am GP teilzunehmen. Gute Stimmung. Man reiht sich in seinen Startblock ein, schaut links, schaut rechts, kontrolliert den GPS Empfang der Laufuhr, alles ok.

Ich fühle mich gut, es kann losgehen.

Beim Verkünden, dass man Vater wird, verspürt man Stolz, ich tue etwas Gutes. Während der Schwangerschaft fühlt man sich verpflichtet, die Basics zur Schwangerschaft, Kleinkindern und Erziehung zu erlangen. Mann will ja nicht komplett abloosen. Deshalb googlet man heftig und schaut sich diverse YouTube-Tutorials zu allen möglichen Familien- und Erziehungsthemen an. Man fühlt sich immer mehr als Experte. Sollten Familienplanung oder Kleinkinder ein Gesprächsthema sein, man kann definitiv mitreden – und tut es auch ausgiebig.

Kurz vor der Geburt wird man leicht nervös. Man checkt nochmals die Versicherungen, sucht eine dritte Route zum Spital auf GoogleMaps (man weiss ja nie bei dem Verkehr). Um sich abzulenken konzentriert man sich auf Alltägliches. Das Kinderzimmer ist eingerichtet, der erste Vorrat an Windeln eingekauft. Die Tutorials sind verinnerlicht. Alles ist bereit, ich bin bereit. Ich werde nie mehr ein so guter Vater sein wie zu diesem Zeitpunkt.

Die Startphase: Euphorische Momente

Es hat viele Zuschauer. Einige rufen deinen Namen, den sie unter der Startnummer lesen können. Hie und da kennt man jemanden. Die Altstadt hat sich für den Event herausgeputzt, Fähnchen überall, Livemusik. Der Adrenalinspiegel ist hoch, die Kräfte scheinen für immer und ewig zu halten. Kurzer Blick auf die Uhr: Uuuhh, das ist aber ein rasanter Pace. Egal, zieh es durch, heute brichst du deinen eigenen Rekord aus jugendlichen Jahren. Run, Papa C, run.

Es hat viele Besucher. Das kleine Spitalzimmer ist ziemlich voll. Alle wollen den kleinen Knopf sehen und fragen nach der Bedeutung des Namens. Viele Geschenke zur Unterhaltung des Kindes und der Eltern. Die Startphase läuft (Gott sei Dank) im Grossen und Ganzen wie geplant und geschmiert. Die Unterstützung von Familie und Freunden motiviert. Gewisse Einschränkungen bestehen, aber im Grundsatz geht es für mich als Papa normal weiter. Ich gehe arbeiten, gehe ins Training, mache meinen Teil der Hausarbeit und erledige das Administrative. Klar, die Tasks des Kleinkindes kommen noch dazu, der Pace ist schon höher. Aber das kann ich managen, ich hab’s im Griff. Go, Papa C, go.

Dählhölzli: Der Anstieg

Nach der Altstadt gelangt man an die Aare. Weniger Zuschauer, keine Bands mehr, dafür den ersten Verpflegungsposten. Nun hört man das Schnaufen der Masse, die vielen Schritte auf dem Asphalt. Ich bleibe konzentriert und achte auf meine Kräfte. Beim Dählhölzli kommt die Steigung, welche in den Wald führt. Wenn man am Sonntag dort spaziert, wirkt die Steigung nicht besonders spektakulär. Beim GP-Lauf mit dem aktuellen Pace wird sie zur ersten Herausforderung.

Die ersten Teilnehmer brechen den Lauf ab, einige erledigen ihre Notdurft. Obwohl man in der Masse mitrennt, fühlt man sich alleine. Knapp die Hälfte des Laufes ist vorbei, der Adrenalinspiegel hat sich gelegt. Erste Gedanken kommen auf: Was mache ich hier eigentlich? Habe ich mich wirklich freiwillig angemeldet? Was passiert, wenn ich abbreche? Die Kräfte sind zwar noch da. Zugleich weiss man, dass es noch ein paar harte Brocken auf der Strecke geben wird. Die aufkommenden Schmerzen kratzen an der Motivation.

Die Startphase ist vorbei. Die Besucherzahl nimmt ab, die Anforderungen nehmen zu. Nun fühle ich den Familienpuls immer besser, er ist hoch. Mit dem zweiten und dritten Kind kommt mein persönliches Dählhölzli-Erlebnis: Die Anforderungen ziehen an, die Kinder haben Ansprüche und benehmen sich nicht wie in den Tutorials. Sie sind immer wieder mal krank. Gott sei Dank nichts Schlimmes, aber genug schlimm, um uns sehr viel Schlaf zu rauben. Auf der Arbeit bleibt die Hektik gleichermassen bestehen, sie nimmt keine Rücksicht auf übermündete Väter.

Ich reduziere meine Aktivitäten und konzentriere mich immer mehr auf die absoluten Basics um den Familienalltag zu meistern. Dieser schleichender Einschnitt in meine persönlichen Freiheiten wird mir plötzlich ganz bewusst. Was mache ich hier eigentlich? War die Familienplanung wirklich freiwillig? Was passiert, wenn ich abbreche? Ich habe noch Kräfte, aber zugleich sehe ich die harten Brocken auf der Strecke, die noch kommen werden. Die wackligen Ressourcen drücken auf die Zuversicht.

Aargauerstalden: Du Sausiech

Irgendwie habe ich mich mit dem nötigen Pace durch den Wald gerettet. Beim Thunplatz stehen wieder viele Zuschauern. Im Monbijouquartier verteilen Kinder Traubenzucker, Gartenbesitzer spritzen mittels Gartenschlauch kühles Wasser auf die Läufer. Hier und da gibt es auch wieder eine Band. Ich nehme das Ganze wahr, aber nicht mehr so intensiv wie in der Startphase. Die Konzentration bleibt auf den Pace und die Kräfteeinteilung gerichtet. Beides nimmt stetig ab. Die Beine werden schwerer, der Kreislauf kommt an seinen Anschlag. Der Zeitcheck auf dem Bundesplatz lässt mir bewusst werden: Um ein gutes und «konkurrenzfähiges» Resultat zu erreichen, läuft mir die Zeit davon. In der Altstadt muss die Atmosphäre fantastisch sein, leider sind meine Sinne von den Strapazen endgültig betäubt.

Der Aagrauerstalden ist die letzte Bastion. Zwangsläufig reduziere ich den Pace. Oben angekommen könnte ich nur noch «Füdle» mögge! Die Zeit ist zerronnen, aber deshalb gebe ich nicht auf. E gilt, mit Haltung den Lauf zu beenden. Das tue ich auch. Und als mir Viktor Röthlin nach der Ziellinie die Isostarflasche in die Hand drückt, kommt das einer totalen Erlösung gleich.

Ich hab es geschafft, das Resultat ist nicht optimal, aber irgendwie ist mir das egal (geworden).

Irgendwie schlage ich mich durch. Die Kinder werden grösser, machen Fortschritte und bescheren glückliche Momente. Auch Aussenstehende freuen sich mit. In der ganzen Hektik und im Stress nehme ich dies nicht immer alles ganz bewusst wahr. Die Konzentration bleibt auf die Basisaufgaben gerichtet. Langsam schwinden die Ressourcen und damit sind nicht nur die geistigen und körperlichen Kräfte gemeint. Auch finanziell zieht die Schraube mit drei Kindern an. Zweites Auto, grösserer Wohnraum, dreifache Versicherungen, mehr Kleider, mehr Verpflegung und die geliebten Steuern – alles nimmt zu bei nur noch einem Lohneinkommen. Ende Monat könnte ich manchmal nur noch «Füdle» mögge!

Es scheint, als würde alles durch meine Hände rinnen. Ich werde nicht aufeben und will den Lauf des Vaterseins mit Haltung vollenden. Ungleich dem GP-Lauf bin ich noch nicht am Ziel eingetroffen. Gemäss den älteren Semestern wird man das als Vater sowieso nie. Es wartet also kein Viktor Röthlin, dafür aber hoffentlich erwachsene Kinder mit starken Persönlichkeiten und grossen Herzen.

Bis es soweit ist, halte ich am Sportlermotto fest:

«Pain is temporary – glory is forever.»

Bild: Swissimage

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