Erziehung, du Arschloch! – Kindererziehung (über)fordert

Diesen Text haben wir erstmals am 10. Dezember 2018 publiziert.

Unser Sohn war noch keine zwei Jahre alt, als sie begannen, die Trotzanfälle. Und je mehr er sprechen konnte, desto unschönere Worte kamen zu seinem Wortschatz dazu, die er dann auch gezielt gegen uns richtete: «Du Blödi, du Gaggi, du spinnst!»

Ich will nicht, dass mein Kind so mit mir spricht. Und auch mit keinem anderen Menschen. Doch wie bringe ich ihm das bei?

Bevor ich selber Kinder hatte, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass mich das Erziehen meiner Sprösslinge derart herausfordert. Oder gar überfordert.

«Das kann ja nicht so schwer sein. Man muss einfach eine klare Linie haben und konsequent sein», dachte ich mir.

Nur: Welche Linie ist denn nun «die klare Linie»?

In welchem Fall ist es notwendig, dass ich auf dieser, von mir und meinem Mann definierten Linie bleibe, und meine Kinder auch dazu anhalte? Und wann kann ich auch ein Auge zudrücken – weil es schlichtweg gar nicht so wichtig ist?

Immer wieder hinterfrage ich mich selber und habe dabei das Gefühl, in meiner Aufgabe als Erzieherin komplett zu versagen. Denn mein Dreijähriger beherrscht es wunderbar, mir zu demonstrieren, wie unfähig ich im Bereich Erziehung agiere. Indem er verweigert, sich so zu verhalten, wie ich es von ihm erwarte. Und wie ich es mir wünschte.

Er hört nicht auf mich. Ich rufe ihn – er kommt nicht. Ich sage ihm, er solle aufhören seinen kleinen Bruder zu hauen – er tut es gleich nochmal. Häufig habe ich das Gefühl gegen eine Wand zu reden.

Ausserdem ist er frech.

Er tut Dinge, die ich eigentlich absolut nicht dulde: Klaut Schokolade aus dem Küchenschrank, streckt mir die Zunge raus, sagt nicht die Wahrheit.

Passieren diese Dinge in unseren vier Wänden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ist dies schlimm genug. Doch verhält er sich auch so, wenn Aussenstehende es mitkriegen, ist mir das oberpeinlich. So wie vor Kurzem, als ich mit meinen beiden Kindern einkaufen war.

Der Plan: Ein Geburtstagsgeschenk für den Cousin meiner Buben zu kaufen.
Zielstrebig liefen wir zum Spielzeugregal. Mein Sohn, dreijährig, half mir topmotiviert, ein geeignetes Geschenk auszusuchen. Die Entscheidung war gefallen, das Spielzeug landetet im Einkaufwagen. «Geschenkekauf erledigt »– dachte ich mir und steuerte Richtung Kasse.

Doch dann holte mich mein Sohn ein und legte etwas in den Einkaufswagen. Dasselbe Spielzeug, das er gerade eben für den Cousin ausgesucht hatte. «Ich will das auch», meinte er bloss und ging völlig selbstverständlich an mir vorbei zur Kasse. «Nein, du hast nicht Geburtstag, für dich gibt es kein Spielzeug», erwiderte ich und legte das Spielzeug zurück ins Regal. Und klopfte mir insgeheim auf die Schulter – ein bisschen stolz, dass ich so konsequent war.

Und dann geschah es – der Albtraum aller Eltern.

Mein Sohn rastete aus. Komplett. Die Sicherungen brannten ihm durch. Er schrie los. Als würde ihm ein fleischfressender Dinosaurier gegenüberstehen, der ihn gleich in Stücke reisst.

Ich versuchte cool zu bleiben und erklärte ihm nochmals, warum es für ihn kein Spielzeug gab. Dass heute nämlich nicht sein Geburtstag sei, sondern der des Cousins. Dass er ja kürzlich selber Geburtstag hatte und ganz viele tolle Geschenke gekriegt hat.

Ich dachte tatsächlich, diese Erklärung würde seinen Anfall stoppen und den gemeinsamen Einkaufsbummel retten. Pha!

Natürlich liess er nicht locker und schrie weiter: «Ich will das auch!» Innerlich nicht mehr ganz so cool, sagte ich nochmals bestimmt «NEIN!» und ging zielstrebig zur Kasse. Im Schlepptau das schreiende Elend.

Habe ich schon erwähnt, dass ich nicht alleine im Laden war?

Keiner der anderen Kunden liess sich etwas anmerken. Doch mir schien, als würde ich ihre Gedanken hören können: «Frecher Rotzgoof» und «Diese Mutter hat ihr Kind total nicht im Griff.»

Das Geschrei nahm kein Ende. Meine Nerven schon. Wut und Scham krochen in mir hoch. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, mir wurde heiss. Warum musste bei der Kasse ausgerechnet noch eine derart lange Warteschlange stehen? Weiterhin bemüht, mir gegen aussen nichts anmerken zu lassen, stand ich in die Reihe. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch schlimmer kommen könnte. Doch mein Sohn legte noch einen drauf. «DU BLÖDI!!!», kreischte er.

Autsch. Das war nicht zu überhören. In der Warteschlange machte keiner einen Mucks. Ich schämte mich zutiefst und wollte nur noch eins: Raus hier! Endlich konnten wir bezahlen. Die Kassiererin lächelte mich aufmunternd an und meinte nur: «Es ist ja zum Glück nur eine Phase.»
Nur eine Phase. Natürlich hat sie Recht. Nur dauert diese Phase meiner Meinung nach schon viel zu lange. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Erziehung, das Begleiten von kleinen Menschen. Eine unglaublich wichtige Aufgabe. Ein Privileg.

Manchmal aber auch einfach eine Schuhnummer zu gross für mich.

Unglaublich frustrierend und anstrengend. Anstrengend, weil so pausenlos. Weil so intensiv. So persönlich.
Es gibt Momente, da habe ich die Nase derart voll vom dauernden Erziehen – da könnte ich dem ganzen Thema «Erziehung» einfach nur den Stinkefinger zeigen.

Dann wünschte ich mir, ich könnte mal kurz auf Pause drücken. Und einfach abschalten. Nicht darüber nachdenken, ob ich beim letzten Konflikt richtig reagiert oder es komplett verkackt habe.

Doch Pausen von der Erziehung gibt es nicht. Erziehung passiert ständig – 24/7 – ob bewusst oder nicht. Und das ist es, was mich manchmal so ermüdet. Ganz besonders dann, wenn kein Erfolg in Sicht ist. Wenn mein Sohn immer und immer wieder dieselben Grenzen überschreitet.

Auf diese Grenzüberschreitungen zu reagieren – das heisst Erziehung für mich unter anderem. Möglichst richtig reagieren. Pädagogisch wertvoll. Nur ist die Pädagogin in mir des Öfteren abwesend.

Weshalb meine Reaktion zu häufig so aussieht, wie die meines Sohnes, als er sein Spielzeug nicht bekam: Ich werde laut und drehe durch.

Doch trotz den Momenten, in denen ich die Erziehung meiner Kinder wegen mir bachab gehen sehe: Ich habe, wie alle anderen Eltern den Wunsch und die Hoffnung, dass ich es irgendwie hinkriege und meinen Kindern einen prall gefüllten Rucksack mit auf ihren Weg durchs Leben geben kann. Prall gefüllt mit Werten wie Anstand, Dankbarkeit, Respekt, Nächstenliebe, Ehrlichkeit.
Ob es mir gelingen wird? Fragt mich in 18 Jahren.

Bis dahin bin ich wohl noch öfters s’blöde Mami.

Wir glauben, dass es gut tut, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Kinder bringen einen an die Grenzen. Und manchmal scheint verbale, emotionale oder körperliche Gewalt oft das letzte Mittel zu sein, das einem in einer solchen Situation noch zur Verfügung steht – bringen tut’s in den meisten Fällen nicht den gewünschten Effekt. Ist zerstörerisch für das Kind, einem selber und die Eltern-Kind-Beziehung.

Doch: Was hilft denn wirklich, dass Eltern ein Zusammenleben mit ihren Kindern schaffen können, in dem gegenseitiger, respektvoller Umgang herrscht? (Wettbewerb beendet)

Wertvolle Inputs findet ihr auf der Webseite von Kinderschutz Schweiz, oder in einem der von Kinderschutz Schweiz organisierten Erziehungskurse.

 

Bild: Ethan Hu | Nathan Dumlao| Unsplash

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