Ein Jahr Corona. Janine’s Festrede.

«Hola Corona!» Seit einem Jahr fest in unserem Familienvokabular. Immer, wenn mal wieder etwas abgesagt wurde, neue Beschränkungen verkündet wurden, jemand ein positives Testresultat bekommt oder in Quarantäne muss, erklingt ein ironisches «Hola Corona» in unseren vier Wänden. Auch, wenn uns jemand zu nahe kommt, hustet oder niesen muss.

«Hola Corona» ist fester Bestandteil unserer familieninternen Coping-Strategie.

Nach einem Jahr wäre ich nun noch so bereit für ein «Hasta luego, Corona». Aber ebä. Wie wir mittlerweile alle wissen, hält sich Corona weder an Spielregeln, noch an mein inständiges Bitten, es möge doch bittibätti endlich verschwinden und uns in Ruhe lassen.

Ein Jahr.

Am 16. März 2020 startete der landesweite Lockdown. Ein Tag, der sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat.

Es gibt doch diese einschneidenden Ereignisse, bei denen jeder noch genau weiss, wo er war und was er gemacht und gefühlt hat.

9/11 zum Beispiel. Ich war als Lernende im 3. Lehrjahr in der Telefonreservation der Swissair (selig) tätig. Plötzlich stürmte jemand in den Raum und laberte aufgeregt etwas von einem Flugzeug, das in einen der beiden Twin Towers geflogen sei. Schnell wurde ein kleiner Fernseher im Grossraumbüro aufgestellt. Wir schauten geschockt zu, wie der zweite Flieger in das World Trade Center flog. Um in der nächsten Minute Anrufe von beunruhigten und weinenden Menschen entgegenzunehmen.

Der 16. März 2020, als der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» ausrief, reiht sich in diese Ereignisse ein. Die Emotionen, die ich in diesem Moment gar nicht genau einordnen konnte, sind noch voll präsent. Ebenso diese Stimmung in der Luft, dass gerade etwas passiert, was unser Leben nachhaltig prägen und verändern wird. Die Ohnmacht, dass rundherum Ereignisse stattfinden, denen ich ausgeliefert bin – egal, wie ich mich verhalte.

Anders als bei 9/11 bin ich nun erwachsen. Meine Überforderung und Verunsicherung übertragen sich schnurstracks auf meine vier Mini-Mes, die zu mir aufschauen. Die meine Stimmung nicht nur wahr- sondern auch übernehmen.

ICH trage Verantwortung. In einem Moment, wo ich selber nicht weiss, wo hinten und vorne ist und wie uns geschieht.

Ich war völlig unspektakulär zuhause an diesem 16. März. Vor meinem Laptop, den SRF Videoplayer eingeschaltet. Ein bisschen chribbelig, was der Bundesrat wohl entscheiden würde. Rückblickend kein Plan, was in unserer Welt gerade am Abgehen war. Und doch: Irgendwie angespannt. Wohl wissend, dass da gerade Geschichte geschrieben wird.

Und jetzt sitze ich wieder daheim. Oder immer noch. Wie mes nimmt. Ein Jahr später. Ein unglaubliches Jahr später. Ein Jahr, das geprägt war von emotionalen Berg- und Talfahrten. Hoffnung und Resignation. Mit den einen habe ich es extrem nahe verbracht (Hallo Familie!), mit anderen ging ich auf Abstand. Viele Pläne wurden geschmiedet und ebenso viele wieder begraben.

Janins Blogbeitrag in der fünften Woche Lockdown…

Es wurde oft geweint in unserer Familie im letzten Jahr.

Das eine Kind vermisste die Schule. Das andere Kind wollte auf keinen Fall dahin zurück. Wir mussten unsere langersehnte Reise absagen und konnten somit unsere Verwandten und Freunde nicht sehen. Die Enttäuschung darüber war gross. An Weihnachten galt es, besonders kreativ zu werden. Die herbeigesehnte Feier mit allen Cousins konnte nicht stattfinden. Meine Eltern haben wir seit Weihnachten nicht mehr gesehen, da wir ja als 6-köpfige Familie mit Untermieter und Tageskindern eh schon im Graubereich existieren.

Aber es wurde viel gekuschelt. Geredet. Qualitäts-Zeit miteinander verbracht. Geträumt. Pläne für das Danach geschmiedet.

Ich wurde in etwa so flexibel wie Elastic-Girl von den Unglaublichen. Und trug innerlich so viel an Baggage mit wie Mr. Incredible selbst. Ich denke, wir alle mussten in irgendeiner Form Superkräfte entwickeln, um dieses Jahr zu überstehen.

Aber auch meine Kinder haben Superkräfte an den Tag gelegt. Und ich bewundere sie dafür.

Egal, was an sie herangeschmissen wurde, sie haben es ertragen und das Beste daraus gemacht. Sie liessen sich durch die Umstände nicht ihrer Kindheit berauben. Wurden kreativ. Und sind weiterhin glücklich. Trotz Maske, trotz Unsicherheit, trotz abgesagten Ferien, abgesagten Schulangeboten, abgesagten Hobbies und abgesagtem Weihnachtsfest. Sie lassen sich ihre Grundstimmung nicht verderben. Ich feiere sie dafür.

Und ich möchte mir von ihrer kindlichen Unbekümmertheit eine Scheibe abschneiden. Denn auch an mir hat das 2020 nicht nur negative Spuren hinterlassen.

Einerseits wurde ich demütiger dem Leben gegenüber. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir gesund sind. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir unser Leben so planen und in Freiheit leben können. Ich glaube, dieses letzte Jahr hat mich dankbarer gemacht. Und mich gelehrt, die kleinen Glücksmomente zu schätzen. Sie bewusst zu suchen und festzuhalten. Mich nicht über Kleinigkeiten aufzuregen. Kleine Erfolge gross zu feiern. Spontan zu sein. Den Moment zu geniessen. Das Gute festzuhalten. Nicht alles so wichtig zu nehmen. Geduldig zu sein. Zu geniessen. Ich durfte lernen, dass auch Plan B und sogar C gute Pläne sein können. Wenn man sich darauf einlässt.

Ich weiss, wir haben keinen Grund zum Feiern. Machen wir es trotzdem!

Ein Jahr Corona.

Ich möchte einen Toast aussprechen: Auf uns Eltern. Auf unsere Kinder. Unsere Partner. Dass wir immer noch sind. Dass wir das zusammen bis hierhin gemeistert haben.

Feiern wir das. Schön coronakonform. Zu fünft. Mit Abstand. Und Maske. Auf uns.

UNSERE BLOG-BEITRÄGE RUND UM CORONA 2020 JAHR FINDEST DU HIER

Bild: Lu Amaral Unsplash

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