Coronik Woche V – Mein Mann nervt

Berichten von mehr oder minder dubiosen Quellen zufolge erlebten Scheidungen nach der Lockerung des Lockdowns in China einen regelrechten Hype. Ja, von einem «Ansturm» auf Scheidungsbüros war gar die Rede.

«Bei euch muss man sich diesbezüglich ja wenigstens keine Sorgen machen» sagt eine Kollegin beiläufig, als wir uns darüber unterhalten. Zu perplex war ich im Moment, um ehrlich darauf einzugehen. Also nicke ich nur und überlege gleichzeitig, ob wir gegen aussen so ein Traumpaar abgeben?

Wir haben eine tolle Beziehung. Im normalen Leben. Also in dem ohne Lockdown. Oder Locked-In, wie sich der Zustand für mich anfühlt.

Eine Trennung, das war bei uns noch nie Gesprächsthema. Gott sei Dank. Was aber nicht heisst, dass wir uns nicht manchmal gehörig auf den Sack gehen. Und streiten. Wie die letzten Wochen mehrfach. So richtig.

Mein Mann nervt. Aber halt, das darf man gar nicht öffentlich aussprechen.

Aber ich bin unzufrieden. Unzufrieden mit einer Situation, in der ich festsitze und an der ich nichts ändern kann. Gefangen mit mir, meinen Mini-Mes und dem Mann, der mich so gut kennt. Der weiss, dass nicht nur er Grund meiner schlechten Laune ist, sondern auch ich selbst. Und Umstände, an denen man nun mal nichts ändern kann.

Das nervt mich grad noch extra. Insgeheim wünschte ich mir, er würde sich zu mir in mein Selbstmitleidsbad setzen und mir zugestehen, dass ich die Ärmste bin.

Schliesslich bin ich mit unseren vier Kindern den ganzen Tag alleine daheim. Mein Mann ist bereits ausser Haus, wenn wir aufstehen. Die dreckigen Socken vom Vortag wie immer neben seinem Bett. Schränke im Badezimmer offen und die fertige Abwaschmaschine darf ich auch selber ausräumen. Hab ja nichts anderes zu tun mit Homeschooling und Haushalt.

Am Mittag kommt er zu spät nach Hause und erwartet, dass ich auch noch an seinem Arbeitsalltag Interesse zeige. Erlaubt sich anzumerken, dass ich nörgeln und schlechte Stimmung verbreiten würde. Moll, merci.

Ich wäre auch besser gelaunt, könnte ich den ganzen Tag für mich alleine in einem Büro sitzen und etwas wursteln.

Dass an seinem Arbeitsplatz alles drunter und drüber geht, er dort viel Verantwortung trägt, er spontan mithilft, einen Helferpool für unser ganzes Dorf zu koordinieren und nebenbei noch unseren Lebensunterhalt verdient, das ignoriere ich grosszügig. Es geht hier ja schliesslich um mich.

Es darf auch mal um mich gehen, oder?

Insgeheim bin ich froh, dass er weiterhin im Büro arbeitet. Home-Office würde ich nicht auch noch ertragen.

Es ist eine ausserordentliche Zeit in der wir uns befinden. Wir sind alle etwas dünnhäutiger als üblich.

Bereits zweimal wurde ich in den letzten Wochen beim Einkaufen Zeugin von Situationen, wo sich wildfremde Personen beim Anstehen aus zwei Meter Distanz angeschrien haben. Erwachsene Personen. Wegen Kleinigkeiten.

Ich bin also nicht die einzige, die grad etwas «on the edge» läuft.

Nur lasse ich das nicht an wildfremden Menschen aus, sondern an meinen Liebsten. Dem einzigen, erwachsenen Gegenüber in meinem Haushalt.

Ich glaube, die Corona Zeit macht mehr mit uns, als uns auf den ersten Blick bewusst ist.

Wir sind verunsichert. Wir haben Angst. Vielleicht nicht wegen der Krankheit. Aber vor uns. Unserer Zukunft. Dem Eingesperrtsein. Der Entschleunigung. Unser Alltag wird durcheinander geworfen. Mechanismen funktionieren nicht mehr wie gewohnt. Strukturen geraten ins Wanken.

Wir, die gewohnt sind, dass alles in geordneten Bahnen verläuft. Unser Leben durchgeplant haben. In der Beziehung nicht mal mehr gross miteinander kommunizieren müssen, weil jeder genau weiss, wer welches Kind wann wohin fährt. Eingenistet sind. Risikoversicherungen abschliessen. Wir möchten funktionieren. Wir möchten Kontrolle haben. Und jetzt ist da eine Situation, die uns das alles nimmt.

Wir leben mit der Ungewissheit von morgen.

Mein Mann und ich sind uns gewohnt, dass es in unserem Leben immer wieder intensive Phasen gibt, in denen wir nach dem Motto «Augen zu und durch» leben. Es gibt Zeiten, da arbeitet er 60 Stunden pro Woche. Das weiss ich aber. Stelle mich drauf ein. Es gibt eine Deadline, ein Licht am Horizont. Ich weiss: Danach wird es wieder besser. Manchmal bin ich die, die zu viel in unsere Familien-Agenda packt.

Aber wir gehen zusammen durch. Sind ein Team.

Dieses Licht am Horizont fehlt jetzt. Wir wissen noch nicht, wann es wieder besser kommt. Ob es wieder besser kommt. Wir können uns nicht einstellen. Sondern müssen aushalten. Auf unbestimmt. Wir befinden uns in einer Krise.

Eine Krise bringt vieles verstärkt zum Vorschein. Auch, oder vorallem in der Beziehung.

Wie unterschiedlich man ist. Wie man mit Herausforderungen umgeht. Emotionen liegen blank. Man steht wortwörtlich ungeschminkt voreinander da und kann sich nicht entfliehen.

Es ist wie bei einem Dampfkochtopf: Alles muss auf engstem Raum und unter viel Druck funktionieren. Nur fehlen aktuell die Ventile für unsere Gefühle. Ich kann nicht mehr mit einer Freundin am Abend in die Stadt was trinken gehen. Mich mit Frauen zum Austausch treffen. Dampf ablassen.

Viele Emotionen kochen in einem Topf durcheinander. Wir nehmen uns zwar alle zusammen und versuchen, das Beste zu geben. Aber irgendwann kommt es dennoch zur Explosion.

Bei und so geschehen an einem sonnigen Sonntag. Ich war mit den Nerven am Ende. Die Kids laut und streitig. Und mein Mann musste «noch schnell» ins Büro, wie er sagte. Ich konnte es nicht mehr hören.

Über Tage schon war ich nun die Starke. Habe erduldet. Vor allem den Kindern zuliebe. Wollte ihnen so viel Normalität wie möglich bieten. Nichts an ihnen auslassen. Aber jetzt konnte ich mich nicht mehr zusammennehmen. Ich explodierte. Noch mehr, als er als Friedensstrategie Versöhnungssex vorschlug (ich meine, echt jetzt? Hilf mir zuerst einmal das Haus zu putzen oder nimm mir mal die Kinder ab…).

Meinem Mann attestiere ich ein Harmoniebedürfnis, das Ying und Yang erblassen lässt vor Neid. Diesmal wurde selbst er laut. Gab zurück. Was ansonsten nie vorkommt.

Bei allem Unschönen: Es tat gut, mal alles loszuwerden. Auszusprechen. Dampf abzulassen. Ok, die Form war nicht grad Vorzeige-Ehepaar-Like. Wie uns unsere Kids rückmeldeten. Aber das gehört manchmal dazu.

Der Streit führte zu einem guten Gespräch. Darüber, wie es ist, sich so ausgeliefert zu sein.

Uns hat geholfen, anzuerkennen, dass wir alle wohl grad mit einem Extrem-Gegenüber leben, von dem wir annehmen dürfen, dass es ähnliche Kämpfe in sich austrägt wie wir selber auch.

Es gehört dazu, dass es jetzt pufft. Punkt.

Wir sprachen darüber, was wir wohl als Paar mitnehmen werden aus dieser Corona-Zeit. Was von dem, was wir jetzt erleben, wird uns noch länger begleiten? Denn es kann ja auch eine Chance sein. Und diese möchten wir im Blick haben.

Wenn wir da heil rauskommen, kann uns das stärken. So ungeschminkt mit unseren Grenzen konfrontiert zu sein – da kann in Zukunft sehr viel passieren und wir sind gewappnet. So schnell haut uns nichts mehr um. Da schwingt Hoffnung mit. Zuversicht. Stolz. Aber es bedeutet auch Arbeit. In Form von Selbstreflexion und Vergebung. Immer wieder.

Wir werden die wunden Punkte von uns, vom Partner und der Beziehung noch besser benennen können. Hoffentlich aber auch neu Respekt gewinnen füreinander. Wir werden erlebt haben, was Versöhnung ist und uns gegenseitig wertschätzen für das was wir tagtäglich leisten.

Wir werden erfahren haben, was es bedeutet einen Menschen im Leben zu haben, auf den man sich verlassen kann.

Wir werden gelernt haben, dann zu geniessen, wenn man geniessen kann und dann alles zu geben, wenn man alles geben muss.

Ich glaube, wir werden uns zwangsläufig noch besser kennen lernen. Vielleicht wird dadurch ja aber auch die Liebe echter und tiefer, wenn wir nichts mehr verstecken müssen, bzw. können.

Wir stecken in einem Sturm, in dem wir entscheiden müssen, ob wir unsere Energie dazu einsetzen wollen, gegen die hohen Wellen zu kämpfen oder auf ihnen zu reiten. Wenn man an Land kommen möchte, dann empfiehlt sich das zweite. Das bedeutet aber, wir müssen unseren Lebensstil jetzt anpassen, flexibel sein, Tag für Tag nehmen und uns von dieser Welle treiben lassen. Wohin wissen wir nicht. Aber wer mit im Boot sitzt, das können wir entscheiden.

PS: Dieser Text entstand in enger Zusammenarbeit mit dem nervenden Mann. Er muss euch nicht leid tun. Er weiss, dass er hier gebasht wird und kann damit umgehen. Den Versöhnungssex haben wir nachgeholt. Trotzdem möchte ich ihm hier nochmals sagen: Die dreckige Wäsche neben deinem Bett nervt im Fall wirklich!

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Ein Kommentar zu “Coronik Woche V – Mein Mann nervt

  1. Liebe Janine

    Vielen Dank für deinen erfrischenden, ehrlichen Blogbeitrag, bei dem ich laut gelacht habe (“moll, merci”). Ich kann es mehr als gut nachfühlen, zu gut!!!
    Herzliche Grüsse
    Sonja
    PS: Unsere Ehemänner haben sich letzthin an einem Seminar kennengelernt 🙂

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