«Es ist nur eine Phase», wie oft hören wir diesen Satz. Wie oft denken wir: Blabla.. Und doch, er hat etwas Tröstendes – und etwas Wahres. Um uns allen das aktuelle Leben etwas einfacher zu machen, habe ich die Coronakrise in Phasen unterteilt. Damit jeder weiss: «He, isch im Fall nume e Phase!» Zehn davon zwar. Und sie können sich beliebig wiederholen und abwechseln. Aber: Sie hören auch wieder auf. Irgendwann.
Phase 1
Mutation zur Bastelqueen
Topmotiviert in die Krise gestartet. Bastelzimmer aufgerüstet, Bastelideen auf Mamaseiten und Pinterest als Screenshot gespeichert, bereit, die Bastelskills in den kommenden Wochen auf Profiniveau zu heben. WC Rollen aufbewahrt, Scheren geschliffen, 5000 Meter Washitape ready, los gehts!
Sommervögel, Osterhasen, Blüten, Tiere, Zauberstäbe, Hüte, sogar Strumpfhosen. Gebastelt wird, was das Zeug hält. Nicht vergessen! Das Ganze schön drapiert, mit Filter und ohne Anleitung auf Social Media posten.
Phase 2
Backe, backe Kuchen
…und Kekse, und Zopfteigtierli, Salzteig-Mobile, Wähen, Plunder, Gratins und natürlich BROT. Brot ist das neue Must Bake. In den verschiedensten Formen und Varianten. Brot auf Insta, Brot im Whatsapp Status, Brot hier, Brot da, es ist allgegenwärtig. Hefe, auch flüssiges Gold genannt wird zum meistgesuchten Artikel nebst WC-Papier. Kaum sind die Regale damit aufgefüllt, ist auch schon wieder alles weg. Verstohlen halte ich vier Stück Frischhefe in der Hand. Mein Schatz! Ich schiele links und rechts, werfe sie in meine Handtasche und trage sie ganz nah bei mir. Ich fühle mich, als würde ich etwas klauen, mein Herz pocht. Schnell raus bevor einer merkt, dass ich brutal gehamstert habe.
Und das leckere Brot, das soooo fein riecht, habe ich natürlich auf meinen Social Media Kanälen und meinem WA-Status geteilt.
Phase 3
Homeworkout for Beginners
Das ganze Gebacke zollt seinen Tribut. Die Zahl auf der Waage steigt gefühlt mit jedem Bissen. Google-Suche «Home Workout» – 45’899’673 Ergebnisse. So, welche Dame ist nicht zu dünn? Welche sieht sympathisch aus? Einfache Übungen? Schwere Gewichte? App? Youtube? Insta? Gratis? Zahlen?
Homeworkouts, wohin das Auge reicht.
Ich rechne schon, wenn ich die nächsten vier bis sechs Wochen an sechs Tagen pro Woche trainiere, erkennt mich nach dem Lockdown niemand mehr. Und wenn die mich trotz meinem neuen, gestählten, Topmodel-Körper erkennen, lassen der Bart, Schnauz und die Wildwucher-grauen Haare sie doch etwas stutzig werden.
Phase 4
Putzteufel
Pff, wer braucht ein Homeworkout, wenn man die ganze Bude plus Umschwung auf Vordermann bringen kann. Haushaltsperlen müssen Zuhause bleiben, frau hat Zeit für eine Totalrenovierung. So wird geputzt, gewischt, poliert. Ausgemistet, aufgeräumt, umgestellt, entsorgt.
Alles glänzt. Alles riecht nach Frühlingsbrise. Alles ist ordentlich und nach Schema eingeräumt.
Einen Tag lang.
Denn man sitzt ja fest. Mit Kind und Kegel. Die beeindruckt das ganze Geputze gar nicht. Auf die Kisten, fertig, los. Unordnung zurück in 3… 2… 1.
Wie gut, dass man ja Tag für Tag wieder Zeit hat für einen Neustart. Wenn man nicht 100% als Homeschool-Teacher arbeitet. Oder sonst in einem systemrelevanten Job.
Phase 5
Homeschooling: Beruf verfehlt?
Vergesst Wochen-Menu-Pläne. Es ist die Ära der Stundenpläne, Tagespläne, Wochenpläne. Diese beinhalten: Englisch, Mathe, Deutsch und 467 andere Fächer. Da findet man Kochkurse, Sporteinheiten, Freies Spiel, Basteln, Hausaufgaben, Konferenzschaltungen, Sexdates und vieles mehr.
Es bilden sich Elternfronten. Einige lassen das Schulische in den Hintergrund rücken, andere in den Vordergrund. Eltern mutieren zu Lehrer und Lehrerinnen. Ich stelle mir vor, wie die eigenen Kids ihre Eltern während des «Schulunterrichts» mit Herr/Frau Nachname ansprechen müssen.
Und einmal mehr bin ich froh, noch keine schulpflichtigen Kinder zu haben.
Phase 6
Neue Wege
Damit meine ich das Spazierengehen. Meine Umgebung habe ich in all den Jahren nie so ausgekundschaftet wie in den letzten Wochen. Feldwege, Waldwege, Bächlein, Flüsse, Tümpel, Dämme, Kirchen und nicht zu vergessen die Bänkli. Mittlerweile kenne ich jeden Winkel unserer Talsohle.
Tiere, Blumen, Bäume, Gestrüpp, alles erhält einen Namen (Dank der App «PlantNet» bin auch ich als Blumenlegasthenikerin top informiert).
Sogar die Wälder und Strassen. Google maps machts möglich. «Kinder wir befinden uns auf dem unteren Reussbühlweg, da oben ist der Frauenwald.» Klugscheissen ist was Tolles.
Dass ich mich vorher mit meinem Orientierungssinn einer blinden Eintagsfliege verlaufen habe und darum Google Maps nutze, muss ich ja nicht erwähnen.
Phase 7
Überdosis Familie
Uff… Sicherheitsbedürfnis. Nähebedürfnis. Sexbedürfnis. Jeder will was von dir. Ausschliesslich von dir… denn es ist ja auch niemand anders da. Also ist ja auch gut, grad beim Sex und so.
Aber zurück zur gesamten Familie. Da dicke Umarmungen, hier fette Schmatzer. Kind hängt am Hals, am Bein, auf dem Rücken, am Bauch. Kind schläft in deinem Bett, sitzt neben dir am Tisch, hockt auf dir beim Geschichten erzählen. «Mama schau, Mama komm.»
MamaMamaMamaMamaSchaaaatzMamaMamaMama. Keine Spielgruppe, kein Arbeitsplatz, kein Fitness, das mir etwas Luft verschafft. Keine Tagesmutter, keine Grosseltern, keine sozialen Kontakte, die mal übernehmen. Mutti gibt und gibt und will eigentlich nicht mehr. Will weg, will ins Wellnessweekend – ALLEINE. Kann aber nicht. So wird sie weiter mit Liebe überschüttet, bis sie droht, daran zu ersticken. Also, mal raus, durchatmen, tief Luft holen und wieder rein ins Liebesmeer, in den Liebesrausch.
Phase 8
Heimweh, äh, äbe ned
Eher Arbeitweh, Freundeweh, Fitnessweh, Frisörweh, Fernweh, Elternweh, Shoppingweh alles duet’s mer weh.
Ach, wie verwöhnt wir sind. Und wie doof. Das merken wir ja erst jetzt, wenn ein klitzekleiner Virus alles lahmlegt. Kein Wanderausflug in die Berge. Kein Bädele im Thermalbad. Kein Zoobesuch. Kein Indoor-Spielplatz-Fun. Kein Käfele im Lieblingscafé. Keine Datenight im feinen Restaurant.
Luxus! Alles reiner Luxus. Den wir doch ein bisschen vermissen. Und vielleicht nach dem Lockdown umso mehr schätzen.
Phase 9
Corona-Koller
Corona im Radio, im TV, in den Zeitungen, in den sozialen Netzwerken, Corona in aller Munde. Also symbolisch, hoffentlich nicht in echt.
Flachwitze und Memes werden von Klopapier und Co(rona) beherrscht
«An die Kinder die letztes Halloween mein Haus mit Klopapier beworfen haben:
Na wer lacht jetzt?»
Ohrwürmer werden missbraucht, so dass du in jedem Song irgendwie dieses Unwort schon selber einbaust. *singt: «an Tagen wie diesen, wünscht man sich Corona-frei!!»
Keine Good News, kein anderes Thema. Kein Ende in Sicht.
Ich kann es echt nicht mehr hören *dreht die Musik lauter* «chom mer wei go Coröndli gönne äääh Chrieseli, Chrieseli!!!»
Sorry, Kinder-CD erwischt.
Phase 10
Die Zeit danach
Was da wohl kommt?
Wird der Job, den man jahrelang machte und hasste, gekündigt und auf zu neuen Ufern?
Ist man bereit, mehr für regionale Ware zu zahlen?
Werden Jobs endlich gerecht entlöhnt?
Traut man sich per Tag X wieder sofort zu umarmen?
Wird der Preis für Klopapier ins Bodenlose sinken, da keine Nachfrage mehr besteht?
Kommt die 1000er Note mit dem Kopf von Daniel Koch?
Verwirklichen Hausfrauen ihren langersehnten Traum von der Revolution – «Me-Time» ist ein Muttergrundrecht!?
Wir werden sehen.
Rahel lebt mit Mann, Familie und Schweinen auf dem Land. Für ihre zwei Kinder hat sie High Heels, Minikleidchen und dazu passendes Täschli eingetauscht gegen Trekkingschuhe, Funktionskleidung und diverse Traghilfen und Tragetücher. Ob sie alles so meint, wie sie schreibt? Vielleicht…