Seit mehr als sechs Jahren führen mein Mann und ich eine erweiterte Ehe. Wir haben eine offene Beziehung. Offen für vier Kinder zwischen null und sechs Jahren.
Beim ersten Kind kriegt man das ja rückblickend noch locker hin mit dieser neuen Beziehungsform, dieser Elternbeziehung. Schliesslich schlafen Babys in der Regel viel. Und obwohl sie irgendwann weniger schlafen, bleibt daneben immer noch Me- und vor allem auch We-Time.
Mit dem zweiten Kind wird das Beziehungskonzept etwas straffer. We-Time muss organisiert werden. Insbesondere dann, wenn die Grosseltern nicht 24/7 als Hüter des wertvollen Nachwuchs zur Verfügung stehen. Je nach Alter der Grosseltern sind zwei Kinder dann auch eine leichte Überforderung, weswegen das Grosseltern-Hüeti-Modell für Wochenenden zu zweit ins Wasser fällt.
Der Ort, an dem Beziehungszeit gelebt wird, verschiebt sich also zwangsläufig.
Nämlich dorthin, wo es eh schon viele Fettnäpfchen, Spannungsfelder und Brennpunkte gibt. In die Familienzeit.
Treffen wir uns abends am Tisch, wo wir früher über Job und sonstige Lebensinhalte ausgetauscht haben, treffen wir uns heute ebenfalls dort. Versuchen, zwischen Parolen wie «Schön ässe!», «Achtung, es gheit jtz denn grad abe», «Kannst du mal dem Baby die Hände putzen?», «Häresitze!!!» so was wie zivilisierte Erwachsenengespräche zu führen. Doch so richtig Fahrt nehmen die kaum auf. Werden ausgebremst von Kindern, die ihrerseits reden wollen, oder eben, so essen, dass die Erziehungsberechtigten gezwungenermassen eingreifen müssen.
Die Feierabendzeit. Die Zeit, in der Paare bei einem Glas Wein vor dem Kaminfeuer sitzen – oder gar kuscheln. Diese Zeit wird aktuell von den Menschen beansprucht, um die wir unsere Beziehung erweitert haben. Feierabend: Kann’s geben, muss aber nicht. Planen lässt er sich kaum.
Und solange wir Kinder haben, die noch Zähne kriegen, sind wir diesem Umstand ausgeliefert.
Häufig passiert es, kaum haben wir den Film gestartet, kräht eines der Kinder los. Weshalb wir von Filmen auf Serien umgesattelt sind. Die schafft man häufig vor dem ersten Kindsgeschrei fertig, macht irgendwie mehr Spass.
Wir haben einander etwas verloren.
Halten uns noch an den Fingerspitzen fest, um nicht gänzlich in zwei unterschiedliche Sphären abzudriften.
Hier ersichtlich das unvollständige Abbild unserer Elternbeziehung:
Kürzlich, da war ich mit schlafendem Baby im Auto unterwegs, die Grossen bei den Grosseltern. Als der Vater der Kinder anrief. Normalerweise laufen Telefonate um diese Zeit im Auto wie folgt ab: «Hallo?» «Pappppiiiiiii» «Weisst du, wo wir heute waren?» «Nein, wo?» – lange, umständliche und teils unverständliche Erzählungen. Prügelei. Geschrei. «Müssen wir noch was einkaufen?» «Was?» «Einkaufen?» «Bis später.» «Tschüss Pappppiiiii».
Es war eine Offenbarung, als das Telefon klingelte und wir – beide alleine unterwegs – in Ruhe miteinander sprechen konnten. Dabei ist nicht nur die Ruhe in der Umgebung gemeint, sondern auch die Ruhe im Kopf. Ich habe kaum Ruhe im Kopf, so viel läuft, so viel muss erledigt werden, so viel muss gedacht werden. Kapazität für Problemchen meines Partners? Nahe Null. Ausser, sie sind gravierend, dann ja.
Aber unsere anfallenden Alltagsprobleme müssen wir zur Zeit ohne einander lösen.
Weil die Beziehung total geöffnet ist, muss auch nicht mehr zwingend der Partner für Kuscheleinheiten dienen. Oftmals ist mein persönlicher Bedarf an Körperkontakt am Abend extrem gedeckt. So extrem, dass ich äusserst happy bin, wenn mich niemand mehr irgendwo anlangt.
Nicht immer einfach, so geöffnete Beziehungen. Man sollte viel reden können. Auf den Partner und seine Fragen und Bedürfnisse eingehen können. Denn – so liest man – das fördert die Chance des Gelingens einer solch gearteten Beziehung. Doch reden, ihr wisst schon…
Haben wir überhaupt noch eine Beziehung?
Was wurde aus dem ‘UNS’? Wenn nicht ein Elternteam, das sich gegenseitig über die wichtigsten Abläufe des Alltags informiert, damit exakt dieser funktioniert.
Fakt ist, ein isoliertes Uns gibt es aktuell kaum.
Was es gibt, sind kurze Momente. Das sind diejenigen, die das Uns über Wasser halten. Die dafür sorgen, dass wir ein Paar bleiben und nicht nur ein Team.
Kurze Momente, in denen das Früher durchblitzt. Wenn die Kinder im Auto schlafen und sich unser Gespräch so anfühlt wie früher. Wenn wir wider Erwarten Feierabend haben. Diesen gemeinsam verbringen und das Romantische daran ist, mal wieder sowas wie zu zweit zu sein. Wenn wir gemeinsam den Abwasch machen und nach zehn Minuten merken, dass wir ohne Unterbruch miteinander geredet haben. Wenn wir gemeinsam lachen über Witze, die nur wir lustig finden. Wenn wir uns die Hand geben beim Spazieren, einfach so.
Wir halten uns fest. Daran. Und am Wissen, dass wir dieses Familienprojekt gemeinsam schaukeln. Durch Hochs und Tiefs. Durch das Schönste und Widerwärtiges. Durch Anstrengung und höchstes Glück. Wir teilen so viel. Freuen uns an denselben Dingen. Speziell an denselben Menschen. Die das Uns in sich tragen. Es erweitern. Es bekräftigen. Es festmachen. Das Uns ist in unseren Kindern.
Und wir versuchen, diese Vielecksbeziehung so zu leben, dass es auch MIT unseren Kindern bestehen bleibt.
Hat nicht nur den Master in Psychologie. Sondern ist auch Master im Desaster, was ihr als Aufsichtsperson von vier Kindern sehr gelegen kommt. War mal Journalistin in Zürich, jetzt ist sie freischaffende Mutter in Bern.
Liebe Nadine
Und wiedereinmal schreibst du mir aus der seele. Wie schon oft! Danke!
Liebe Gina, danke – freut mich grad sehr zu lesen. Nadine
Ich habe heute euren Podcast; Leben mit vier Kindern gehört, welcher mir sehr gefallen hat. Am Anfang wird die offene Beziehung von Nadine erwähnt😂. Ich als ebenfalls vierfach Mama dachte bloß, wie kriegt sie das bloß auch noch hin, ich hab schon mit einem Mann genug, na ja bis ich gemerkt habe, dass etwas ganz anderes gemeint ist😅. Liebe Grüße S