Belasten Kinder eine Beziehung? Interview mit einer, die’s wissen muss

Wenn aus einem Paar Eltern werden, scheinen Konflikte zu zu nehmen und die Romantik wird weniger. Belasten Kinder eine Beziehung? Ja, natürlich. Bloss: Warum eigentlich? Und wie können Paare, die weniger verliebt als vielmehr verzweifelt sind einen Weg finden, auch mit wenig Schlaf, wenig Zeit und wenig Ruhe dafür sorgen, dass die Qualität der Beziehung wieder zunimmt? Paartherapeutin Felizitas Ambauen muss es wissen – und verrät nicht nur, wie man mit einer Plastikflasche Streitgespräche führen kann, sondern auch, wie man den Partner in eine Sprechstunde bringt…

Felizitas Ambauen

Felizitas wohnt mit Mann und Tochter (3) in Luzern. Sie bietet gemeinsam mit ihrem Mann den «Rundumservice» Paarcours an für Paare und solche, die es bleiben wollen. Arbeitet zudem als eidg. anerkannte Psychotherapeutin mit eigener Praxis und teilt auf Social Media (Psychologiekompakt) als Frauenempower ihr Bücherregal und vieles mehr.

Mamas Unplugged: Kommen wir gleich auf den Punkt: Belasten Kinder eine Beziehung?
Felizitas: Ja. Definitiv. Das bestätigt auch die Forschung. Wenn man Kinder hat, fehlen Räume für die eigene Emotionsregulation. Es wird sehr viel herausfordernder.

Wir starten steil. Emotionsregulation, wie muss man das verstehen?
Emotionsregulation sagt etwas darüber aus, wie ich in der Lage bin, meine Gefühle zu spüren, einzuordnen und dafür Sorge zu tragen, dass sich diese Gefühlswelt in einem Gleichgewicht befindet. Dass ich mich darin wohl fühle. Heisst: Wie gehe ich mit negativen Gefühlen um und wie schaffe ich es, die positiven beizubehalten.

Jetzt erschweren Kinder diese Emotionsregulation. Inwiefern?
Ab dem Zeitpunkt, wo man ein Kind hat, muss man die eigenen Bedürfnisse oft hinter das Kind stellen. Wenn ich gestresst, traurig oder genervt bin, kann ich mich nicht mehr automatisch für die Strategie entscheiden, die mir in einer solchen Situation ideal helfen würde. Ich kann nur noch wählen aus den Handlungsoptionen, die mir gerade zur Verfügung stehen und die sind meist nicht optimal.

Hast du ein Beispiel für eine solche Situation?
Kürzlich war ich fünf Tage an einer Weiterbildung. Abends komme ich ins Hotel. Wenn ich müde bin, gehe ich ins Bett. Habe ich Hunger, gehe ich essen. Wieder zuhause, ging mein Mann auf Geschäftsreise und ich war alleine für unsere Tochter zuständig. Da kam ich von einem strengen Arbeitstag nach Hause und meine Bedürfnisse wären gewesen: Kino, mit jemandem was trinken gehen, Sport machen oder einfach nur Netflix konsumieren. Das sind Dinge, die mir helfen, runter zu fahren. Und das lag schlicht nicht drin. Schlussendlich habe ich – todmüde – zusammen mit meiner Tochter eine halbe Stunde Netflix geschaut. Nicht ideal, aber gerade die bestmögliche Emotionsregulationsstrategie.

 

Was war daran nicht ideal?
Mit so einem Kompromiss erreicht man nicht die Entspannung, wie wenn man für sich frei entscheiden kann, was man jetzt macht. Das führt dazu, dass die Spannungskurve trotzdem auf höherem Niveau bleibt. Dadurch streitet man eher, ist gereizt, hat wenig Geduld. Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Kommunikation mit dem Partner der Fokus abhanden kommt. Kinder unterbrechen das Gespräch, man erreicht dadurch ein weniger tiefes Kommunikationsniveau, verzettelt sich mehr.

Aber sind wir mal ehrlich. Welches Paar bringt eine solche Kommunikation ohne Kind auf die Reihe?
Kinder verschärfen einfach die Situation. Wenn die Kommunikation bereits vorher schwierig war, wird sie noch schwieriger. Ich behaupte, bei fast allen sinkt die Qualität der Kommunikation auf ein tieferes Niveau. Daher lohnt es sich, die Muster bereits anzuschauen, wenn noch keine Kinder da sind. Das wäre mein Wunsch als Therapeutin: Besucht früh genug ein Coaching.

Macht das überhaupt jemand?
Meist kommen die Paare erst zu mir in die Beratung, wenn sie Kinder haben. Obwohl – es gibt einen Generationenknick. Leute unter dreissig kommen viel früher, schleppen ihre Partner quasi in der Verliebtheitsphase an. Typischer Satz: «Wenn wir wollen, dass es funktioniert, müssen wir jetzt hinschauen.» Paare über 40 kommen oft erst, wenn’s weh tut.

 

Weh tun – wo schmerzt es denn, wenn ein Paar zu dir kommt? Was ist der Klassiker?
Im typischen Fall kommt der erste Termin auf Initiative der Frau zustande. Ihr tut es mehr weh als dem Mann. Der Klassiker: Der Mann nimmt sich mehr Zeit für sich und die Arbeit als für die Familie. Und vor allem: Mehr Raum als sich die Frau nimmt. Die Frau fühlt sich zu wenig unterstützt und merkt, dass die Kommunikation immer schlechter wird. Der Ton wird schärfer. Oft fühlt sie sich nicht in ihrer Arbeit wertgeschätzt. Die Männer sagen oft, ihnen gehe es eigentlich ganz gut. Das schürt Konflikte. In irgendeinem Rahmen geht es schlussendlich immer ums Wertschätzen.

Du kannst solchen Paaren dann helfen?
Ja, im Normalfall tatsächlich. Und sogar ziemlich schnell. Sogar nach einem einzelnen Tagesworkshop berichten Paare über langfristige Verbesserungen. Die meisten kommen aber noch zu zwei, drei Einzelsitzungen.

Was geschieht in Thearpie-Gesprächen, was Paare zuhause nicht schaffen?
Ich drossle das Tempo. Zuhause geht es hin und her und das Gespräch eskaliert schnell, einer wird wütend oder läuft davon. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, Tempo aus dem Gespräch zu nehmen. Durch meine Fragen kriegen Paare einen anderen Blick auf ihre Themen. Sie müssen mir als Aussenstehende erklären, was eigentlich genau los ist. Alleine das kann zuweilen schon weiterhelfen. Ausserdem lässt sich in diesem Setting ein Gespräch vertiefen, was zuhause häufig nicht mehr funktioniert.

Hast du für uns DEN Tipp oder DIE Lösung für Konfliktsituationen?
Nein. Aber es gibt ein paar Strategien, die den meisten helfen. Eine davon ist, zuhause den Raum zu schaffen, den man auch bei einem Coaching hat.

Wie kann man dies machen?
Dem Gesprächstermin einen ernsthaften Touch geben. Ihn in die Agenda eintragen. Und dann versuchen, so miteinander zu reden, wie man spricht, wenn man bei der Psychologin ist. Was zudem helfen kann – das klingt etwas komisch – fixe Redezeiten vereinbaren. Damit kein Pingpong-Gespräch entsteht.

Da sitzt man dann da mit dem Timer zwischen sich?
Kann passieren, ja. Oder nimmt beispielsweise eine Petflasche in die Hand, und nur der mit der Flasche darf sprechen. Schon nur eine solche Handlung hat einen riesigen Effekt, weil man sich so nicht nonstop unterbricht.

Du hast gesagt, meistens kommen die Paare auf Initiative der Frau. Wie bringt man denn seinen Partner dazu, bei einer Paartherapie mitzumachen?
Zuallerst, indem man dieses Setting nicht unbedingt Therapie nennt. Man kann dem Partner vielleicht sagen: «Wir brauchen noch keine Therapie, wollen wir mal ins Coaching gehen?» Viele geben ihrem Mann vorher einen meiner Texte zu lesen. Ausserdem ist es wichtig, dass man den Mann nicht dazu bringen will, indem man ihn kritisiert, sondern kommuniziert: «Wenn wir dorthin gehen, will ich lernen, dich zu verstehen, ich will diese Beziehung. Du bist mir so wichtig, darum will ich Unterstützung» Und nicht: «Du bist so falsch, darum will ich dorthin.» Was auch hilfreich ist, dass man sich darauf einigt, einfach mal für ein einziges Gespräch zu kommen. Viele Männer haben Angst, wenn sie zustimmen, dass sie dann gleich wöchentlich bei mir in der Therapie sitzen müssen.

Was kann man als Paar denn tun, um die Beziehung zu stärken?
Wohlwollen, das ist ein ganz zentraler Wert. Dass man stets versucht, mit Wohlwollen aufeinander zu schauen oder zu hören. Man hat im Alltag schnell die Tendenz, eher die Kritik zu hören und in Folge dessen auf Verteidigung zu schalten. Ach, und der Tonfall, der macht die Musik. Im richtigen Ton sind schwierige Inhalte viel leichter anzusprechen und anzunehmen.

…das wäre?
ME TIME! Es ist ganz wichtig, Zeit für sich selbst zu haben und auch dem Partner solche Zeiten zu ermöglichen. Am besten ist es, die eigenen Freiräume mit dem Partner abzustimmen und fix in der Agenda einzuplanen. Bei ganz kleinen Kindern kann das auch ein dehnbarer Termin sein. So à la: «Dienstag Abend, versuche ich, um 19.00 Uhr eine Stunde wegzugehen.» Dann soll man einfach etwas machen, was einem gut tut! Es ist einfach mit fixen Terminen, als jede Woche wieder spontan darüber zu verhandeln.

Jetzt sind die Kinder da. Trotzdem ist damit die Beziehung ja nicht pausiert. Wie kann ein Paar die Beziehung leben?
Das, was für den Einzelnen wichtig ist, trifft auch auf die Beziehung zu. Viele meinen, es sei ja nicht so schlimm, wenn man keine Zeit als Paar hat. Das stimmt so nicht. Man muss nicht das Gefühl haben, jeweils grad vier Stunden mit dem Partner verbringen zu müssen. Nicht das Date an sich ist zentral, sondern der Fokus dabei. Eine halbe Stunde fokussiertes Zusammensein ist als Date mehr wert, als zwei Stunden Zeit, in der man sich nicht aufeinander konzentriert.

 

Häufig kommt man aus dem stressigen Alltag direkt in die Paarsituation. Wie kann man in dieser Paar-Zeit gut ankommen?
Das beginnt bereits bei der Planung. Dass man versucht, die Dates günstig zu planen. Das ist das erste. Womöglich ist Freitag Abend schlechter als Samstag Abend, weil am Freitag noch die ganze Woche auf einem lastet und die Spannung hoch ist. Oder Sonntag ist gut, weil man bereits etwas Zeit zusammen hatte und entspannter ist. Zudem unterscheide ich noch zwischen Paar-Date und dem täglichen Wetterbericht.

Was ist ein Wetterbericht, bei dem es nicht um Regen geht?
Das ist eine kurze, definierte Zeit, in der jeder kurz erzählt, wie’s geht. Das empfehle ich, möglichst jeden Abend ein paar Minuten lang in Ruhe und fokussiert zu tun. Man erzählt, was gut läuft, was einen gerade beschäftigt, worauf man sich freut. Ein emotionaler Abgleich. Regen, Sonne, Hagel, Sturm. Am Anfang mag das vielleicht wenig Sinn machen, aber es tut gut, gesehen, gehört und verstanden zu werden.

Gibt es noch etwas, was zum Gelingen eines Paar-Dates beiträgt?
Dass man ein Setting wählt, in dem man nicht total reizüberflutet ist. Lieber, man geht zusammen spazieren, als in ein lautes, hektisches Restaurant. Man muss ja nicht zwangsläufig einander in die Augen schauen. Es geht darum, die Beziehung zu spüren.

Wie schaut ein guter Start in diese Datenight aus?
Man kann damit anfangen: Welche Dinge haben mir gut getan als Familie oder mit dem Partner? So setzt man im Gehirn einen positiven Fokus. Man kann sich auch vorstellen, man habe mit dem Partner ein ‘erstes Date’. Da ist es sehr einfach abzuschätzen, worüber man spricht und worüber nicht. Beim ersten Date erzählst du auch nicht unbedingt, dass du grad Durchfall hast und dich über deine Mutter ärgerst. Bei ersten Dates will man sich liebenswürdig und von der besten Seite zeigen, warum nicht auch mal wieder ganz bewusst beim Partner?

Ist denn das nicht etwas gestellt oder gar geschauspielert?
Dann wären alle ersten Dates geschauspielert. Es geht nicht darum, sich zu verstellen, sondern bewusst die Anteile in den Vordergrund zu stellen, die der Beziehung gut tun. Es geht darum, den Beziehungstank aufzufüllen.

Häufig sind ja doch Probleme vorhanden und Krisengespräche angesagt. Wo können die denn stattfinden?
Ich schlage vor, dass man auch Gespräche über Probleme definiert. Gerne in der Agenda eintragen. Das hat den positiven Effekt, dass man an eine Datenight geht und nicht Angst haben muss «Oh, hoffentlich kommt der Partner jetzt nicht wieder mit diesem Thema…». Man ist offener, wohlwollender und erlebt mehr positive Emotionen. Die anderen Termine haben klar den Fokus darauf, Probleme zu besprechen. Wir machen das zum Beispiel so, dass wir uns solche Gespräche wie in einer Teamsitzung in die Agenda eintragen. Beispielsweise «Samstag, wenn Kind Mittagsschlaf macht, Thema X besprechen».

Das tönt aber sehr genormt und abgeklärt.
Viele haben tatsächlich Angst, die Beziehung würde so viel zu technisch. Aber man gestaltet ja nicht den ganzen Alltag so, es ist punktuell. Weiterer Vorteil: Man kann sich vorbereiten und sich überlegen, was man eigentlich sagen will – und was lieber nicht.

Muss man sonst noch etwas beachten?
Es ist essenziell, der Partnerschaft hohe Priorität zu geben. Indem man einen Termin vereinbart, macht man das sichtbar. Das ist ebenfalls Wertschätzung.

Jetzt kommt die Kollegin und schreibt «Habe Kinotickets für den neuesten Blockbuster, kommst du mit?» – ausgerechnet am Date-Abend…
Passiert nicht unbedingt selten. Oder die Chefin fragt, ob du noch an einen Teamevent gehen könntest. Da denken die meisten «Mein Partner ist ja jeden Tag da, also lassen wir unseren Termin einmal ausfallen», das andere ist wichtiger oder spannender.

 

Was ist daran so schlimm?
Verschieben ist eines. Ausfallen lassen etwas anderes. Ich empfehle, zuerst zu schauen, ob man das Date mit dem Partner verschieben kann, bevor man es einfach absagt. Oft denkt man, weil die Bindung zum Partner so selbstverständlich ist, verträgt die Beziehung diese ‘Degradierung’. Für einmal ist das sicher nicht schädlich. Aber wenn das immer wieder passiert, kommt man irgendwann zum Schluss, dass man dem Partner wirklich nicht so wichtig ist. Die Verbundenheit leidet. Die Wertschätzung sinkt. Wenn ihr also nicht zu mir kommen wollt: Bleibt verbindlich.

Bild: Jens Johnsson Unsplash

Sollte man gescheiter keine Kinder zeugen, wenn man die Beziehung schützen will? Hätte man keine bessere Beziehung ohne als mit?
Kurzfristig gesehen womöglich schon, ja. Aber Kinder ermöglichen uns auch einen ganz neuen Umgang miteinander – und uns selbst. Was wir in diesem Prozess lernen, wird uns im späteren Verlauf des Lebens womöglich viele Türen öffnen und einiges vereinfachen. Aus meiner Sicht lohnt es sich drum definitiv, die Sache mit dem Kinderkriegen. Trotz vorübergehend erschwerter Paarbeziehung und -kommunikation. Es stösst einen spannenden Entwicklungsprozess an. Also: Habt Kinder! Und im Notfall gibt es ja noch Leute wie mich.

 

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